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Corona-Krise: »Wir müssen mit diesem Virus leben«

13. April 2020 | von Ingrid Müller

Das Coronavirus Sars-CoV-2 geht alle Menschen an -  überall auf der Welt. Wir sprachen mit dem Würzburger Urologen Dr. Frank Schiefelbein über die Corona-Pandemie und was sie für Krebspatienten bedeutet.

Dr. Frank Schiefelbein, Urologe

Herr Dr. Schiefelbein, Covid-19 hat viele Kliniken fest im Griff. Die Deutsche Gesellschaft für Urologie hat kürzlich einen Appell an die Bundesregierung gerichtet, sie möge doch alle Patienten im Blick behalten – warum ein solcher Aufruf?

Wegen der Corona-Krise hat die operative Versorgung von Patienten in allen deutschen Kliniken massive Einschränkungen erfahren müssen. In manchen Krankenhäusern können Ärzte nur noch absolute Notfälle versorgen. Selbst in Regionen mit weniger Sars-CoV‑2 Fällen können wir Krebspatienten nur noch begrenzt operieren

Fast überall in Deutschland müssen wir also Krebsoperationen zeitlich aufschieben. Allerdings sollen wir Therapienachteile, die sich womöglich dadurch ergeben, vermeiden. Genau darin liegt eine Problematik, das ist allen Ärzten bewusst. Daher der Appell an die Bundesregierung, auch diese Patienten im Blick zu behalten. Er zielt darauf ab, möglichst frühzeitig politisch wieder darauf zu achten, dass die Ressourcen für die operative Versorgung unserer Bevölkerung bereit stehen.

Wenn ich das richtig interpretiere, dann ist das im Augenblick nicht gegeben.

Das Hauptaugenmerkt liegt derzeit zu Recht auf der Corona-Bekämpfung. Die Bewältigung der Corona-Krise ist für unser gesamtes Gesundheitssystem eine besondere Herausforderung. Die Bundesregierung, aber auch die politisch Verantwortlichen der Länder sind hier bisher sehr besonnen und analytisch vorgegangen. Im internationalen Vergleich verläuft die Corona-Pandemie hierzulande mit deutlich geringeren Opferzahlen. Wir können die Intensivpatienten und vor allem die Beatmungspatienten noch in vollem Umfang versorgen. Das ist nicht in allen Ländern gegeben.

Wenn Krebsoperationen gegenwärtig nur eingeschränkt stattfinden – wie gut klappt dann die Krebsdiagnostik noch?

Auch hier gibt es aus meiner Sicht regionale Unterschiede in den Kliniken. Ich würde aber sagen, dass die Einschränkungen in allen Bereichen der Krebsdiagnostik im Moment sehr gering ausfallen. Das gilt zum Beispiel für Computer- und Magnetresonanztomografien, aber auch für notwendige Biopsien. Hier gibt es eigentlich keine Engpässe.

Und falls ein Mann in diesen Tagen die Diagnose Prostatakrebs bekommt – was dann?

Wenn wir Operationen nur begrenzt durchführen können, nehmen wir eine individuelle Risikobewertung beim Prostatakrebs vor. Wir analysieren, wie dringlich eine Behandlung tatsächlich ist. Die Gesellschaft für Urologie hat dafür einen Kriterienkatalog entwickelt, an dem wir uns orientieren. So gibt es in jeder Klinik einheitliche Bewertungsmaßstäbe und Versorgungskriterien. Wir wollen auf diese Weise vermeiden, dass ein Patient Therapienachteile erleidet. In Einzelfällen können wir die Operation bei Prostatakrebs auch durch Medikamente hinauszögern, ohne dass der Mann einen Nachteil hat.

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Wie gefährlich ist Covid-19 für Männer mit Prostatakrebs?

Menschen mit einer Krebserkrankung gehören generell einer erhöhten Risikogruppe an. Allerdings müssen wir die Risikobewertung immer individuell vornehmen. Hierbei spielen auch sämtliche Vorerkrankungen eines Menschen eine Rolle. Manche leiden ja nicht nur unter Prostatakrebs, sondern zusätzlich etwa an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung oder Diabetes. Auch bestimmte Therapieformen, zum Beispiel eine Chemotherapie, stellen eine besondere Risikosituation dar. Denn sie schwächen das Immunsystem und machen anfälliger für Infektionen, etwa mit Sars-CoV‑2.

Was bedeutet Sars-CoV‑2 für Krebsbehandlungen – beginnen, weitermachen oder verschieben?

Je nach Kapazität der Kliniken können wir natürlich Operationen oder Bestrahlungen bei einer Krebserkrankung durchführen. Ob wir das tun, hängt wiederum vom individuellen Risikoprofil eines Patienten ab. Aber auch Chemotherapien können wir prinzipiell anwenden. Wir müssen dabei jedoch beachten, dass die Abwehrkräfte bei Chemotherapie-Patienten herabgesetzt sind – daher müssen wir sie besonders schützen. In bestimmten Fällen können wir andere medikamentöse Therapien einer Chemotherapie vorziehen.

Wie steht es um die Reha für Männer mit Prostatakrebs? Einige Rehakliniken sind oder werden ja gerade für Corona-Patienten umfunktioniert.

Das ist das eine. Zusätzlich mussten einige Reha-Kliniken ganz schließen, um das Personal für die Akut-Kliniken bereitzustellen, die Covid-19-Patienten versorgen. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie müssen wir individuell neu bewerten, ob eine Reha-Maßnahme wirklich sinnvoll und notwendig ist. Wir beraten unsere Krebspatienten in einem persönlichen Gespräch darüber.

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Welche Schutzvorkehrungen gibt es, wenn Schutzkleidung und Atemschutzmasken in Kliniken, aber auch in Privathaushalten rar sind? Zum Teil herrschen bei der Verteilung ja regelrechte Wild-West-Methoden…

Ja, das beobachte ich auch. Aber positiv ist erst einmal, dass die von der Bundesregierung verordnete Einschränkung der sozialen Kontakte die Ausbreitung der Sars-CoV-2-Infektionen deutlich abgebremst hat. Dadurch haben wir wichtige Zeit gewonnen, um die wirklich dringend benötigte Schutzkleidung auf dem Weltmarkt zu besorgen. Die Produktion und Verteilung von geeigneter Schutzkleidung reicht aber bei weitem noch nicht aus, um den weltweit weiterhin steigenden Bedarf zu decken. Das ist in der Tat eines unser dringlichsten Probleme. Auch in Deutschland fehlt es in wichtigen Bereichen der medizinischen Versorgung an geeigneter Schutzausrüstung. In Italien sind bereits über 100 Ärzte verstorben, die sich mit dem gefährlichen Erreger Sars-CoV‑2 infiziert hatten.

Und wie begegnen Sie als Arzt diesem Mangel an Schutzausrüstung?

Es gibt wiederverwendbare Schutzkleidung, die waschbar ist oder sich durch Erhitzen wieder einsatzfähig machen lässt. Zukünftig wird diese Art der Schutzkleidung Einmalartikel ersetzen, die noch nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind.

Der Alltag in den Klinken dürfte sich dank COVID-19  entscheidend verändert haben.

Das können Sie wohl sagen – er hat sich dramatisch verändert! Der Alltag der Ärzte, aber auch des Pflegepersonals hat sich seit der Corona-Krise ziemlich auf den Kopf gestellt, und zwar in allen Bereichen der ambulanten und stationären Versorgung. Die Herausforderungen, mit denen wir uns bei der Versorgung von Covid-19-Patienten konfrontiert sehen, sind oft besonders belastend. Das gilt vor allem auf Isolationsstationen und Intensivstationen.  Besonders in diesen Bereichen hat der Personalbedarf deutlich zugenommen.

Und wie lösen Sie das Problem mit den begehrten Fachkräften?

Wir können den Personalbedarf nur decken, indem wir Fachkräfte aus anderen Bereichen des Krankenhauses umschichten. Manche Kliniken mussten sogar ganze Stationen und Operationseinheiten schließen, um das notwendige Personal zu rekrutieren. Daher rühren auch die Einschränkungen in der normalen Patientenversorgung.

Dass Pflegekräfte in den Kliniken rar sind, ist ja nicht neu – jetzt fällt uns das Problem auf den Kopf.

Wir müssen uns klarmachen, dass in Deutschland schon vor der Corona-Pandemie rund 17.000 Pflegekräfte gefehlt haben. Der Fachkräftemangel in Krankenhäusern, aber auch in Pflegeinrichtungen, ist also schon lange bekannt. Gesellschaftspolitisch werden wir hier zukünftig viele Korrekturen vornehmen müssen, um Defizite beim Klinikpersonal zu vermeiden. Den Ökonomisierungswahn in der Gesundheitspolitik erachte ich als  gefährlich und wir müssen dringend eine Neubewertung vornehmen.

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Was hilft uns in der jetzigen Situation beim Umgang mit dem Coronavirus?

Bis ein Corona-Impfstoff für uns alle verfügbar ist, müssen sich sämtliche Maßnahmen daran orientieren, dass wir unser Gesundheitssystem nicht überlasten. Nur so können wir Menschenleben retten. Die vernünftige und kontrollierte Öffnung unseres sozialen Lebens wird für uns alle eine besondere Herausforderung sein. Jedem Menschen in der Gesellschaft müssen wir abverlangen, dass er mit den persönlichen Einschränkungen seiner Freiheit verantwortungsvoll umgeht. Wir müssen mit diesem Virus leben und die stufenweise Rückkehr in die Normalität so gestalten, dass unser Gesundheitssystem auch in Zukunft standhält.

Was tun Sie, um Ihre Krebspatienten gut durch die Corona-Zeit zu manövrieren?

Unmittelbar nach einer Operation müssen wir besonders gut auf den Schutz vor einer Sars-CoV-2-Infektion achten. Wir halten deshalb strikt sämtliche allgemeinen Maßnahmen zum Infektionsschutz ein. Aber auch die Patienten selbst müssen mitmachen und sich in ihrem Alltag an diese Vorkehrungsmaßnahmen halten.

Vor allem Patienten, die eine Chemotherapie durchlaufen, sind aufgrund der herabgesetzten Abwehrkräfte einer besonderen Gefährdung ausgesetzt. Sie müssen ihre sozialen Kontakte jetzt noch stärker einschränken als andere Patienten. Für ältere Krebspatienten, die alleinstehend sind, ist die psychische Belastung durch diese sozial einschränkenden Maßnahmen besonders groß. Hier helfen wir mit  Gesprächsangeboten von Psychoonkologen, Seelsorgern und den vielen ausgebildeten Freiwilligen, die sich in der Patientenversorgung engagieren.

 

Das Interview führte Ingrid Müller.