Inkontinenz bei Prostatakrebs
Mit Inkontinenz haben viele Männer mit Prostatakrebs zu kämpfen, vor allem nach einer Operation und Strahlentherapie. Alle Behandlungen bei Inkontinenz im Überblick!
Aktualisiert und medizinisch geprüft am 7.3.2022
Ingrid Müller, Chefredakteurin und Medizinjournalistin
Kurzübersicht
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Was ist eine Inkontinenz?
Harninkontinenz bedeutet, dass ein Mensch den Urin nicht mehr ausreichend halten kann und der Harn unfreiwillig und unkontrolliert abgeht (die Stuhlinkontinenz ist deutlich seltener). Die Ursachen der Inkontinenz können sehr vielfältig sein. Bei Männern mit Prostatakrebs sind die Operation (radikale Prostatektomie) und Strahlentherapie die häufigsten Gründe.
Die meisten Männer empfinden die Inkontinenz als äußerst unangenehm. Neben der Erektilen Dysfunktion ist die Inkontinenz das Problem, das Männern nach einer Prostatakrebserkrankung am allermeisten zu schaffen macht. Aus Umfragen wissen Ärzte und Ärztinnnen, dass der unfreiwillige Harnverlust den Alltag, Beruf und die Lebensqualität der Männer empfindlich beeinträchtigt.
Wie entsteht die Inkontinenz nach der Prostata-OP oder Bestrahlung?
Der Operateur oder die Operateurin entfernt bei der radikalen Prostatektomie nicht nur die gesamte Prostata inklusive des Tumors, sondern auch Teile der Harnröhre und des Harnblasenschließmuskels. Dieser Muskel befindet sich am Blasenausgang und ist für das Öffnen und Schließen der Harnblase zuständig. Ist der Schließmuskel geschwächt, entfällt auch der Druck, der normalerweise von außen auf die Harnröhre einwirkt - der Urin geht ungewollt “verloren”.
Der Grund für die Mitentfernung des Blasenschließmuskels ist die Lage der Prostata: Die Vorsteherdrüse umschließt den oberen Teil der Harnröhre sowie Teile des Schließmuskels. Der zweite Harnröhrenschließmuskel unterhalb der Prostata bleibt jedoch bei dem Eingriff verschont – und dieser lässt sich gezielt trainieren.
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Nicht nur die Prostata-Op kann Männer inkontinent werden lassen. Auch die Strahlentherapie kann das Gewebe der Blase und des Schließmuskelsystems soweit verändern, dass das Wasserlassen nicht mehr normal funktioniert. Anfangs entzündet sich das Gewebe, später kann es vernarben und die Blasenfunktion stören.
Formen: Belastungsinkontinenz und Dranginkontinenz
Es gibt verschiedene Formen der Inkontinenz. Die meisten Männer leiden nach einer Operation oder Bestrahlung unter einer Belastungsinkontinenz. Bei körperlicher Anstrengung wie dem Sport, dem Tragen schwerer Lasten oder beim Husten und Niesen geht ungewollt Urin ab. Durch diese Einflüsse nimmt der Druck auf den Bauchraum und die Harnblase zu. Ist jetzt kein intakter Blasenschließmuskel vorhanden, ist der Urinabgang nicht aufzuhalten.
Seltener ist die Dranginkontinenz. Dann verspüren Männer einen heftigen Harndrang, obwohl die Blase kaum gefüllt ist. Dieser setzt häufig und sehr plötzlich ein. Der Urinverlust lässt sich dann nicht mehr kontrollieren.
Wie häufig ist die Inkontinenz?
Dass die Inkontinenz bei Männern nach einer Prostatakrebsbehandlung keine Seltenheit ist, zeigen folgende Zahlen:
Inkontinenz nach Prostata-Op: Häufigkeit
- Nach dem Ziehen des Blasenkatheters haben die meisten Männer Schwierigkeiten, den Urin zu halten. In der Mehrzahl der Fälle bessert sich die Inkontinenz innerhalb der ersten Wochen oder Monate nach der radikalen Prostatektomie.
- Drei Monate nach der Op hat noch etwa jeder zweite Mann mit Inkontinenz zu tun.
- 18 Monate nach der Operation erleben 4 bis 21 von 100 Männern gelegentlich einen unkontrollierten Harnabgang, etwa beim Husten oder Niesen. Dabei wirkt enormer Druck auf die Harnblase ein.
- Fünf Jahre nach der Operation benötigen noch 28 von 100 Männern Hilfsmittel gegen ihre Inkontinenz.
- Bis zu 7 von 100 Männern leiden dauerhaft unter der Inkontinenz.
Inkontinenz nach Strahlentherapie: Häufigkeit
- Während der Bestrahlung haben viele Männer Blasenprobleme: Bis zu 40 von 100 Männern verspüren einen verstärkten Harndrang, weil sich die Schleimhaut in der Blase oder Harnröhre entzündet.
- Bis zu 7 von 100 Männern erleben nach der Bestrahlung dauerhaft einen unkontrollierten Harnabgang. Die Inkontinenz ist unterschiedlich stark ausgeprägt – von gelegentlichem Harnabgang, etwa bei Niesen oder Husten, bis hin zu dauerhafter Inkontinenz.
Bei den meisten Männern bessert sich die Inkontinenz im Laufe der Zeit – aber nicht bei allen verschwindet sie wieder ganz. Die Behandlung der Inkontinenz ist ein Schwerpunkt in der Reha (Anschlussheilbehandlung, AHB). Es gibt verschiedenen Möglichkeiten der Inkontinenz-Therapie – ein Überblick!
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Inkontinenz bei Prostatakrebs - diese Hilfsmittel gibt es
Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien oder der Internetversandhandel bieten heute eine Reihe von Hilfsmitteln für die Inkontinenz, die Sicherheit gewähren und unangenehme Momente vermeiden helfen. Gut geeignet sind Vor- und Einlagen, die den Harn auffangen und aufsaugen. So können Sie sich im Alltag freier und ohne Scham bewegen. Auch wenn es wohl den meisten Männern anfangs seltsam erscheinen mag, zumindest zeitweise „wie ein Baby“ Windeln zu tragen – Mann kann sich daran gewöhnen. Und auf Dauer müssen die meisten auch nicht mit einer Windel umherlaufen. Es ist allemal besser, als ständig peinliche und damit stressige Situationen im Alltag befürchten zu müssen oder gar zu erleben. Dann können Sie sich sorglos aus dem Haus trauen.
Je nach Stärke der Inkontinenz gibt es die Hilfsmittel in verschiedenen Größen und mit unterschiedlicher Saugkraft. Ein gutes Inkontinenzprodukt sollte diese Anforderungen erfüllen:
- unangenehme Gerüche gut einschließen
- Ausscheidungen sicher aufnehmen
- geräuscharm, optisch unauffällig und hautfreundlich sein
- einfach zu handhaben sein
Kleine Inkontinenzeinlagen genügen bei leichter Inkontinenz. Für eine stärkere Inkontinenz sind dagegen Inkontinenz-Slips besser geeignet. Sie haben noch andere mehr oder weniger unattraktive Namen: Windel-Slip, Inkontinenz-Pants oder Windelhosen. Inkontinenzhilfen gibt es als Einweg- oder Mehrwegprodukte.
Lassen Sie sich von Ihrem Urologen, Ihrer Urologin oder Fachleuten im Krankenhaus beraten, welches Hilfsmittel für Sie geeignet ist. Die Krankenkassen übernehmen den Hauptanteil der Kosten. Sie müssen jedoch die gesetzlich festgelegten Zuzahlungen leisten – mindestens fünf Euro, aber höchstens zehn Euro pro Rezept.

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Inkontinenz bei Prostatakrebs - Behandlungen
- Schließmuskeltraining (Kontinenztraining)
Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen setzen heute das Schließmuskeltraining (umgangssprachlich auch “Beckenbodentraining”) als sehr wirksame Behandlung der Inkontinenz ein. Es heißt auch physiotherapeutisches Kontinenztraining, ist speziell auf Männer zugeschnitten und ein wesentlicher Teil der Rehamaßnahmen.
Das Schließmuskeltraining zielt vor allem darauf ab, das verbliebene Schließmuskelsystem der Harnröhre zu stärken, damit es wieder besser arbeitet. Mit der Zeit soll Harnröhrenschließmuskel die Funktion des teilweise entfernten Muskels übernehmen. Männer lernen durch das Training, die Beckenbodenmuskeln aktiv anzuspannen und wieder zu lockern – so kräftigen Sie die Muskeln mit der Zeit.
- Was ist der Beckenboden und wo befindet er sich?
Der Beckenboden ist ein Muskel, den Sie weder spüren noch sehen. Er lässt sich aber trainieren wie Muskeln an den Armen, Beinen oder dem Bauch. Viele Männer (wie auch Frauen) wissen nicht, dass es ihn überhaupt gibt und wo er sich befindet. Der Beckenboden ist eine Muskelplatte, die den Bauchraum und die Organe im Becken von unten her abschließt. An den Seiten ist er nach oben gebogen. Optisch können Sie sich den Beckenboden wie eine „Hängematte“ im Bauchraum vorstellen. Die Muskeln reichen vom Schambeinknochen bis zum Kreuz- und Steißbein. Bei Männern gibt es Öffnungen im Beckenboden für die Harnröhre und den Darm. Auch der Damm gehört übrigens zum Beckenboden.
- Beginnen Sie zeitnah nach der Operation mit dem Beckenbodentraining, aber legen Sie auch nicht zu intensiv los, um die Wundheilung nicht zu beeinträchtigen.
- Anfangs trainieren Sie langsam mit „halber Kraft“, dann steigern Sie die Intensität in der zweiten Zeitphase allmählich.
- Wichtig: Keine Übung darf Schmerzen verursachen!
Bis sich erste Erfolge durch das Beckenbodentraining einstellen, brauchen Sie jedoch ein wenig Geduld und müssen regelmäßig üben. Aber nach einigen Wochen oder Monaten Beckenbodengymnastik bessert sich die Inkontinenz bei den meisten Männern.
Beckenbodentraining Erfahren Sie alle Tipps und Übungen zum Beckenbodentraining. Außerdem im Interview: Warum kein Mann dauerhaft mit einer Windel umher laufen muss. |
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- Biofeedback gegen Inkontinenz bei Prostatkrebs
Das Biofeedback ist eine Methode, bei der Sie den Erfolg Ihres Trainings widergespiegelt bekommen, zum Beispiel optisch über den Computer. Sie erhalten also eine Rückmeldung, wie gut Sie Ihre Muskeln an- und entspannen. So bekommen Sie ein noch besseres Gefühl für das Training und Ihren Beckenboden. Außerdem über- und unterfordern Sie Ihre Muskeln nicht.
Biofeedback kann die Wirksamkeit eines Beckenbodentrainings unterstützen. Die Methode arbeitet mit einem kleinen Sensor, der sich im Analkanal befindet und die Spannung des Beckenbodens misst. Es gibt Biofeedbackgeräte für daheim und Sie können auch zuhause üben.
- Elektrostimulation und Magnetfeldstimulation gegen Inkontinenz
Die Elektro- und Magnetfeldstimulation zählen zu den physikalischen Therapien. Sie können die Inkontinenz eventuell ebenfalls verbessern. Dabei stimulieren feine elektrische Impulse oder Magnetfelder die Nerven, welche die Harnblase und deren Verschlussmechanismen steuern. Wenn die Nerven wieder normal funktionieren, bessert sich oft auch die Inkontinenz.
- Inkontinenz bei Prostatakrebs: Medikamente
Der Wirkstoff Duloxetin wirkt speziell gegen Belastungsinkontinenz. Er gehört zu den sogenannten Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern und ist eigentlich ein Antidepressivum. Für Männer mit Inkontinenz besitzt der Wirkstoff keine Zulassung (nur für Frauen). Ärzte können das Medikament jedoch „Off Label“ verschreiben. Allerdings hat das Medikament nicht unerhebliche Nebenwirkungen, weshalb Ärzte und Ärztinnen den Einsatz kontrovers diskutieren.
Bei einer Dranginkontinenz helfen Medikamente, welche die Blasenfunktion stabilisieren und die Beschwerden lindern. Wirksam sind Arzneien aus der Wirkstoffgruppe der Anticholinergika.
- Operation bei Inkontinenz: künstlicher Schließmuskel
Bei schwerer Inkontinenz, die länger als ein Jahr besteht, und wenn andere Behandlungen ausgeschöpft sind, hilft wiederum ein operativer Eingriff.
Eine Möglichkeit ist Einpflanzen eines künstlichen Schließmuskels (Sphinkter). Er besteht aus einer kleinen Pumpe, einem Flüssigkeitsreservoir und einer Manschette.
Künstlicher Schließmuskel – Ablauf der OP
- Die Manschette wickelt der Arzt oder die Ärztin um die Harnröhre. Sie enthält Flüssigkeit, die sich ausdehnt und so die Harnröhre verengt.
- Die Manschette ist mit einer Pumpe verbunden, die in den Hodensack eingepflanzt wird.
- Das Reservoir mit Flüssigkeit implantierteder Operateur oder die Operateurin im Bauchraum neben der Harnblase.
Und so funktioniert es nach der Op: Soll sich die Blase leeren, betätigen Sie die Pumpe im Hodensack. Die Flüssigkeit aus der Manschette entweicht, gelangt in das Reservoir und die Blockade der Harnröhre ist aufgehoben – der Urin kann abfließen. Die Manschette füllt sich dann automatisch wieder und verschließt die Harnröhre.
Den meisten gelingt es, ihre Blasenfunktion auf diese Weise wieder vollständig zu kontrollieren – Sie müssen jedoch ein wenig manuelles Geschick dafür mitbringen.
- Minimal-invasive OP bei Inkontinenz: Schlingen, Kissen und Ballons
Daneben gibt es verschiedene minimal-invasive Methoden ("Schlüssellochchirurgie"), die ebenfalls bei einer Belastungsinkontinenz helfen. Ärzte und Ärztinnen implantieren verschiedene Schlingensysteme, Kissen oder Ballons. Sie drücken entweder die Harnröhre zusammen und verhindern so den unkontrollierten Harnabgang. Oder sie bringen die Harnröhre wieder in die richtige Position und stabilisieren sie. Allerdings muss der Schließmuskel der Blase noch eine Restfunktion besitzen, damit diese Verfahren Erfolg versprechen.
Die Inkontinenz lässt sich gut behandeln oder besser sich mit der Zeit von selbst. Besprechen Sie immer mit Ihrem behandelnden Arzt oder der Ärztin, welche Behandlung bei Inkontinenz für Sie in Frage kommt.
Quellen:
- S3-Leitlinie Prostatakarzinom, Version 6.2 – Oktober 2021, https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/043-022OLl_S3_Prostatakarzinom_2021-10.pdf (Abruf: 7.3.2022)
- Patientenleitlinie Prostatakrebs I - lokal begrenztes Prostatakarzinom, https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Patientenleitlinien/Patientenleitlinie_Prostatakrebs_1-1830011.pdf (Abruf: 7.3.2022)
- Deutsche Krebshilfe Blaue Ratgeber „Prostatakrebs“, https://www.krebshilfe.de/fileadmin/Downloads/PDFs/Blaue_Ratgeber/017_0116.pdf (Abruf: 7.3.2022)
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG), https://www.gesundheitsinformation.de/oertlich-begrenzter-prostatakrebs.html (Abruf: 7.3.2022)
- LMU München, http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Urologische-Klinik-und-Poliklinik/de/patienteninformation/inkontinenz_mann/index.html (Abruf: 7.3.2022)
- https://www.urologielehrbuch.de/harninkontinenz_mann.html (Abruf: 7.3.2022)
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