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Yoga bei Krebs: »Gutes Mittel gegen das Ausgeliefertsein«

02. November 2020 | von Ingrid Müller

Yoga stärkt die Lebenskraft bei Krebs wieder. Die Kölner Yoga-Lehrerin Gaby Kammler erzählt im Interview, warum Yoga kein fernöstlicher Hokuspokus ist, man nicht gucken sollte, was der Nachbar auf der Matte tut und Männer in der Yoga-Stunde noch rar sind.

Gaby Kammler ist Yoga-Lehrerin in Köln (c) privat

Frau Kammler, Yoga kann Krebskranken helfen – und zwar sowohl während als auch nach der Therapie. Welche Wirkungen hat es genau?

Bei einer Krebserkrankung stürmt ja einiges auf die Betroffenen ein. Zunächst einmal schärft Yoga die Wahrnehmung für sich selbst. Ich kann mir Fragen besser beantworten, zum Beispiel: Was brauche ich? Wie geht’s mir heute? Habe ich viel oder weniger Energie? Bekomme ich das, was mir hilft? 

Außerdem setzen wir im Yoga Atemtechniken ein, die das vegetative Nervensystem direkt beeinflussen. Krebspatienten kommen besser zur Ruhe und finden Entspannung. Den meisten gelingt es, wieder auf ihre inneren Ressourcen zuzugreifen, die ja in jedem Menschen irgendwo schlummern.

Auch auf den Körper hat Yoga doch Effekte.

Ja, und zwar einige handfeste. Yoga bedeutet, dass wir Nebenwirkungen von Krebsbehandlungen aktiv managen können. Aus Studien wissen wir, dass Yoga vor allem Fatigue, Ängste, depressive Stimmungen und Schmerz lindern, aber auch die Schlafqualität verbessern kann. Alles in allem: Die Lebenskraft nimmt zu. Dieses Wort gibt es in unserer westlichen Medizin gar nicht. Aber ich finde, es trifft es ganz gut.

Eine Yoga-Stunde mit Krebspatienten  – wie unterscheidet sie sich von anderen Trainings?

Das ist in der Tat ein großer Unterschied. Denn die Menschen befinden sich in sehr verschiedenen Situationen, wenn sie zu uns kommen. Die einen stecken inmitten einer akuten Krebsbehandlung und können körperlich noch nicht so viel leisten. Die anderen haben ihre Therapien und die Reha schon durchlaufen. Sie sind fitter und möchten Kraft gewinnen. Ich sage immer: Alles darf sein, aber nichts muss!

Was ist, wenn alle Yogaschüler sämtliche Übungen locker absolvieren – und ich nicht?

Auch wenn wir vielleicht dazu neigen, uns zu vergleichen: Was der andere links oder rechts auf der Yoga-Matte machen, ist ganz egal. Die Frage ist vielmehr: Was fühlt sich gut für mich an? Wir müssen uns selbst wahrnehmen und nicht gucken, was andere tun. Man kann auch zwischendurch Pause machen, sich auf den Rücken legen und einfach später wieder einsteigen.

Handeln statt behandelt zu werden: „Mit Yoga ermächtigen wir uns selbst“
 

Aus Ihrer Erfahrung – was kann Krebspatienten, die zum Yoga kommen, besonders gut tun?

Zwei Dinge sind es aus meiner Sicht. Erstens: Das Gedankenkarussell zu stoppen, in dem sich viele seit der Krebsdiagnose befinden. Für die allermeisten kommt sie ja überraschend und bricht in ihr Leben ein. Sie empfinden Angst, Hilflosigkeit und Ohnmacht. Ich glaube übrigens, dass diese Gefühle für Männer schwieriger zuzulassen und zu bewältigen sind als für Frauen. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum Männer beim Yoga noch eher selten anzutreffen sind. Und Punkt zwei ist: Krebspatienten können durch das Yoga selbst wieder aktiv werden und ihre Selbstwirksamkeit erhöhen.

Für Yoga-Laien – erklären Sie uns den Begriff ein wenig näher…

Wir meinen damit die Überzeugung, schwierige Situationen und Herausforderungen auch aus eigener Kraft erfolgreich meistern zu können. Krebspatienten können wieder handeln statt behandelt zu werden. Wir nehmen etwas selbst in die Hand, damit es uns besser geht – das macht doch einen gewaltigen Unterschied. Yoga ist ein gutes Mittel gegen das Ausgeliefertsein. Wir ermächtigen uns sozusagen selber.

Yoga bei Krebs

So wirkt sich Yoga auf den Körper, Geist und die Seele aus!

 

Es gibt ja verschiedenste Yoga-Richtungen – von schweißtreibender Akrobatik bis zum stundenlangen, reglosen Verharren im Lotussitz. Welches Yoga eignet sich für Menschen mit Krebs am besten?

Wir arbeiten nicht mit einer bestimmten Yoga-Lehre, sondern nutzen jene Asanas – so heißen die verschiedenen Yogaübungen – die viele verschiedene Möglichkeiten bieten. Ihr Schwierigkeitsgrad lässt sich steigern, so dass jeder auf seinem individuellen Level üben kann. Wer die Asanas als leicht empfindet, kann auf ihnen aufbauen und sie intensivieren. Das Hatha-Yoga bedeutet zum Beispiel körperliche Arbeit und nicht nur Entspannung. Es unterstützt das Immunsystem, hilft beim Muskelaufbau und bringt den Lymphabfluss in Schwung. Wir machen ein sanftes, achtsames Yoga – aber keine Powerstunde.

Yoga bei Krebs: Keine Powerstunden oder Akrobatik

So manche Yoga-Übung dürfte eher nichts für einen Krebspatienten sein.

Das stimmt. Micht jede Übung eignet sich bei einer Krebserkrankung, zum Beispiel bei Knochenmetastasen in der Wirbelsäule. Deshalb spreche ich auch mit jedem Yogaschüler vorher und frage ihn, ob ich etwas berücksichtigen muss. Wer mit Krebspatienten arbeitet, muss sich auch fachlich mit dem Thema Krebs auskennen. Manche Asanas sind bei einer Krebserkrankung nicht sinnvoll. Der Schulter‑, Kopf- und Handstand zum Beispiel. Das Herz befindet sich dabei über dem Kopf und auf die Gefäße wirkt Druck ein. Auch tiefe Vorwärtsbewegungen sind oft nicht gut und auch Balanceübungen sind für manche eine große Herausforderung. Aber jenseits der Frage, ob eine Übung geeignet ist – nicht jeder Krebspatient empfindet jede Position als angenehm.

Zum Beispiel?

Einige Yogaschüler haben mir gesagt, dass sie sich in der Kindsposition, bei der man sich wie ein Embryo im Mutterleib zusammenrollt, unwohl fühlen. Sie haben das Gefühl, nicht genügend Luft zu bekommen. Auch das Atemhalten – eine Übung, die das Atemvolumen vergrößern soll – ist für manche schwierig. Es erinnert sie an die Enge Röhre bei einer MRT-Untersuchung. Darauf müssen wir hören. Aber keine Sorge, es gibt jede Menge alternative Übungen, die gut bei Krebs geeignet sind.

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Haben Krebspatienten Einschränkungen, die gegen einen Yoga-Kurs sprechen?

Eigentlich nicht, es ist wenig verboten. Wir verfolgen immer einen positiven Ansatz und motivieren Krebspatienten, Yoga einfach auszuprobieren. Die meisten können schon nach der ersten Stunde fühlen, was passiert. Wir richten unseren Blick nicht darauf, was nicht geht, sondern schauen darauf, was jetzt gerade jetzt in diesem Moment möglich ist. Auch wenn es körperliche Einschränkungen gibt – Meditation und Atemübungen funktionieren eigentlich immer. Sie wirken sich bei den meisten positiv auf die Stimmung und Ängste aus.

Yoga ist zwar sehr populär heutzutage, aber in vielen Fällen noch immer „Frauensache“. Ist es, weil Männer eher leistungsorientiert sind oder beim Wort Yoga an ‚fernöstlichen Hokuspokus‘ denken?

Beides könnte zutreffen. Deshalb müssen wir viel mehr Aufklärungsarbeit leisten und Wissen darüber vermitteln, dass Yoga kein esoterischer Quatsch ist. Viele denken, Yoga sei nur Herumliegen und Atmen oder gar eine neue Akrobatiktechnik. Yoga ist aber ein ganzheitliches Gesundheitskonzept, das nicht nur den Körper betrachtet, sondern alles, was einen Menschen ausmacht. Wir schauen uns also auch immer seine Gefühle und sein seelisches Befinden an. In der Tat möchten sich Männer oft körperlich fordern und testen, wie leistungsfähig sie noch sind. Darum geht es im Yoga aber nicht.

Männer und Yoga: Noch keine selbstverständliche Liaison …

Und wie könnte es Ihnen gelingen, einen Mann in die Yoga-Stunde zu lotsen?

Auch wenn es – anders als bei Brustkrebs – noch nicht so viele Studien zu Prostatakrebs gibt: Yoga kann auch Männern helfen, etwa die Therapien besser zu durchstehen oder bei einer Fatigue nach den Krebsbehandlungen. Sie schlafen entspannter, haben weniger Ängste, werden ruhiger und kommen besser in den Arbeitsprozess und Beruf zurück. Allgemein würde ich sagen: Sie gewinnen mehr Gelassenheit und Zuversicht und können ihre Erkrankung besser annehmen. Gründe genug also, um offen zu sein und Yoga einmal auszuprobieren, finden Sie nicht?

Auf jeden Fall. Und wie erklären Sie sich, dass Männer es nicht einfach tun?

Für Männer fühlt sich Yoga zum Teil anderes an als für Frauen. Der männliche Körper und das Gewebe sind fester, was einen Mann weniger beweglich macht. Bei Frauen ist das Gewebe schon aufgrund der Hormone und der Fähigkeit zur Schwangerschaft weicher. Dafür fallen Männern kraftvolle Standpositionen oft leichter. Aber vielleicht könnte man sie so überzeugen: Yoga ist ein sehr gutes Faszien-Training und ein guter Ausgleich zu anderen Sportarten. Und: Sogar die Fußballnationalmannschaft praktiziert Yoga!

Alle Yoga-Lehrenden, die mit Krebspatienten arbeiten, müssen besonders geschult sein. Sie selbst bilden diese aus. Womit sollten sie sich auskennen?

Yogalehrer brauchen zunächst einmal eine abgeschlossene Yoga-Ausbildung und sollten ein Zertifikat besitzen, zum Beispiel von der Amerikanischen Yoga Alliance oder dem Berufsverband der Deutschen Yogalehrenden in Deutschland. Der Begriff ‚Yoga-Lehrer‘ ist übrigens nicht geschützt, im Prinzip kann sich jeder so nennen. Außerdem sollten sie einige Erfahrung und eine Weiterbildung in onkologischen Themen mitbringen. Wichtig ist fundiertes medizinisches Wissen, zum Beispiel darüber, was bei einer Chemotherapie, Brachytherapie oder Prostatektomie passiert. Ein Mann, der nach einer Operation unter Inkontinenz leidet, kann zum Beispiel nicht gut auf einem Kissen sitzen. Das muss man wissen und berücksichtigen.

Wie wichtig ist die Empathie der Yoga-Lehrenden?

Sehr wichtig! Gerade bei Krebspatienten. Wir müssen uns hineinfühlen können in eine lebensverändernde Situation. Nach einer Krebsdiagnose ist der Blick aufs Leben oft ein anderer. Viele fragen sich: Wie soll ich jetzt weitermachen? Soll ich mein Leben umkrempeln? Was freut mich? Was will ich sein lassen? Yoga kann diesen Prozess gut begleiten und dabei mithelfen, positive Gedanken im Kopf zu verankern.

Das Interview führte Ingrid Müller.

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