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Prostatakrebs: Schützt die Hormontherapie vor Covid-19?

08. Mai 2020 | von Ingrid Müller

Die Hormontherapie hält offenbar nicht nur Prostatakrebs in Schach. Vielmehr scheinen Männer durch die Behandlung vor einer Infektion mit dem Coronavirus und Covid-19 geschützt zu sein. Und wenn sie sich anstecken, verläuft die Erkrankung weniger schwer.

Die Hormontherapie gegen Prostatakrebs scheint einen gewissen Schutz vor der Atemwegserkrankung Covid-19 zu bieten. Zu diesem Schluss kommt eine Studie von Forschern der Università della Svizzera Italiana in Bellinzona und der ETH Zürich, Schweiz. Männer, deren Testosteronproduktion wegen ihres Prostatakrebses unterdrückt wurde, erkrankten seltener an Covid-19. Und wenn sie sich mit dem Coronavirus Sars-CoV‑2 angesteckt hatten, verlief die Erkrankung weniger schwer. Die Ergebnisse veröffentlichten die Forscher um Prof. Andrea Alimonti im Fachmagazin Annals of Oncology.

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Covid-19: Männer trifft es härter als Frauen

An der Studie nahmen 4.532 Männer aus der italienischen Region Venetien teil. Sie alle hatten sich mit dem Coronavirus infiziert und waren an Covid-19 erkrankt. Venetien gehörte zu jenen Regionen in Italien, in der sich die Corona-Pandemie am stärksten ausgebreitet hatte. 430 der männlichen Studienteilnehmer (9,5 Prozent) hatten eine Krebserkrankung. 118 davon (2,6 Prozent) litten unter Prostatakrebs.

Die ersten allgemeinen Ergebnisse:

  • Männer erlebten im Vergleich zu Frauen schwerere Komplikationen. Sie mussten häufiger ins Krankenhaus und erholten sich schlechter.
  • Krebspatienten hatten ein 1,8‑fach höheres Risiko als die normale männliche Bevölkerung, an Covid-19 zu erkranken. Außerdem verlief die Erkrankung bei ihnen schwerer.

 

Prostatakrebs: Hormonbehandlung schützt Männer vor Covid-19

Die Forscher analysierten jetzt die Daten von allen Prostatakrebspatienten in Venetien – mit folgenden Ergebnissen: 

  • Nur vier von 5.273 Männern, die sich wegen ihres Prostatakrebses einer Hormontherapie unterzogen, erkrankten an Covid-19. Keiner dieser Männer starb.
  • 37.161 Männer mit Prostatakrebs erhielten keine Hormontherapie. Davon erkrankten 114 Männer an Covid-19 und 18 Patienten starben.
  • Bei anderen Krebsarten zeigte sich folgendes Bild: Von 79.661 Krebspatienten erkrankten 312 an Covid-19 und 57 Patienten starben.

 

Alimonti sagt: „Männer mit Prostatakrebs, die Medikamente zur Unterdrückung der Testosteronproduktion erhielten, hatten ein viermal niedrigeres Risiko für eine Covid-19 Infektion als Patienten ohne diese Therapie.“ Noch deutlicher fielen die Unterschiede aus, als die Forscher hormonell behandelte Männer mit Prostatakrebs mit Patienten verglichen, die an einer anderen Krebserkrankung litten. Dann lag das Infektionsrisiko für die Männer mit der Hormontherapie sogar mehr als fünfmal niedriger.

„Dies ist die erste Studie, die eine Verbindung zwischen der Hormontherapie und Covid-19 nachweist“, erklärt Alimonti. „Auch wenn Krebspatienten insgesamt ein höheres Infektionsrisiko für Covid-19 haben als Personen ohne Krebs – die Hormontherapie schützt Männer mit Prostatakrebs bis zu einem gewissen Grad.“

 

Dank Androgenen: leichtere Ansteckung – heftigere Symptome

Es gibt verschiedenste Arten von Hormonbehandlungen, die den Spiegel der männlichen Sexualhormone (Androgene) wirksam senken können. Die Hormontherapie ist eine wichtige Säule in der Behandlung von Prostatakrebs. Ein Beispiel sind sogenannten LHRH-Analoga. Sie sorgen dafür, dass die Hoden kein Testosteron mehr produzieren. Die Testosteronwerte sinken binnen 48 Stunden. Die Wirkung der Therapie ist aber nur vorübergehend. Setzen Männer die Medikamente wieder ab, kehrt auch die Testosteronproduktion zurück und Männer erreichen die vorherigen Werte.

„Unsere Resultate geben eine erste Antwort auf die Hypothese, dass Androgene bei Infektionen mit dem Coronavirus eine Rolle spielen. Die männlichen Hormone erleichtern womöglich die Ansteckung und sorgen dafür, dass die Symptome schwerer ausfallen – so, wie wir es bei Männern gesehen haben“, meint Alimonti.

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Wie die Hormontherapie das Coronavirus in Schach hält

Doch wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen den männlichen Sexualhormonen, der Hormontherapie und dem Coronavirus genau? Hinweise liefern frühere Untersuchungen der Schweizer Forscher. Sie hatten herausgefunden, dass ein bestimmtes Eiweiß namens TMPRSS2 dem Coronavirus Sars-Cov‑2 hilft, gesunde menschliche Zellen zu befallen. Das Protein gehört zur Familie der sogenannten Transmembranen Serinproteasen 2, die an vielen Prozessen im Körper beteiligt sind. Auch bei Krebs und viralen Infektionen sind sie wichtige Mitspieler.

Männer mit Prostatakrebs haben oft erhöhte Spiegel an TMPRSS2. Die Aktivität dieses Eiweißes wird von einer speziellen Andockstelle (Rezeptor) für Androgene reguliert, auf die auch die Hormontherapie abzielt. „Bekannt ist, dass die Hormontherapie die TMPRSS2-Werte bei Prostatakrebspatienten senken kann. Einige unserer Daten lassen vermuten, dass dies nicht nur in der Prostata geschieht, sondern auch in anderen Geweben wie der Lunge.“ Dort spielt sich die Atemwegserkrankung Covid-19 hauptsächlich ab. „Dies könnte erklären, warum Männer mit Covid-19 oft einen heftigeren Verlauf der Erkrankung erleben als Frauen“, meint Alimonti.

 

Covid-19 Studie hat einige Schwächen

Es gibt jedoch einige Faktoren, welche die Aussagekraft der Studie einschränken. Ein Beispiel ist, dass Krebspatienten mit Covid-19 vermutlich häufiger auf das Coronavirus getestet wurden als Menschen ohne eine Krebserkrankung. Denn sie müssen öfters ins Krankenhaus, etwa zu Behandlungen und Kontrollen. Dies könnte erklären, warum das Coronavirus öfters bei Krebspatienten nachgewiesen wurde.

Außerdem seien Männer mit Prostatakrebs, die sich einer Hormontherapie unterziehen, womöglich effektiver beim Thema „Social Distancing“ als jene ohne Hormoneinnahme oder andere Krebspatienten. Die Hormontherapie lässt sich nämlich zuhause anwenden und Männer müssen dafür kein Krankenhaus aufsuchen. Somit sinkt auch das Risiko für eine Infektion mit dem Coronavirus.

 

Sollen Risikopatienten die Hormontherapie vorbeugend anwenden?

Die Forscher haben daher einen ungewöhnlichen Vorschlag: Auch Männer ohne Prostatakrebs, die ein hohes Risiko für Covid-19 haben, könnten die Hormontherapie für einen begrenzten Zeitraum einnehmen. Sie ließe sich eine Infektion mit dem Coronavirus eventuell verhindern. Und Männer, die sich schon mit Sars-CoV‑2 angesteckt haben, könnten mit Hilfe der Hormontherapie die Schwere der Symptome lindern. „Wenn Männer die Behandlung zur Testosteronunterdrückung nicht länger als vier Wochen anwenden, hat sie keine größeren Nebenwirkungen“, so Alimonti.

Die Hormontherapie ließe sich auch mit anderen Medikamenten kombinieren, die an der Vermehrung der Viren beziehungsweise ihrem Eindringen in menschliche Zellen ansetzen. Daneben könnten Arzneien, welche die Aktivität des Eiweißes TMPRSS2 im Körper beeinflussen, eine weitereTherapiemöglichkeit sein.

Prof. Fabrice André, Direktor der Forschungsabteilung am Institut Gustave Roussy in Villejuif, Frankreich, rät jedoch zur Vorsicht: „Die Studie bietet keine abschließenden Erkenntnisse über die Rolle der Hormontherapie bei Patienten mit Covid-19. Wir sollten diese Medikamente daher zu diesem Zweck nicht einsetzen, bis wir ihre Wirksamkeit in weiteren Studien bewiesen haben.“

Quelle

  • Montopoli M, Zumerle S, Vettor R, Rugge M, Zorzi M, Catapano CV, CarboneGM, Cavalli A, Pagano F, Ragazzi E, Prayer-Galetti T, Alimonti A, Androgen-deprivation therapies forprostate cancer and risk of infection by SARS-CoV‑2: a population-based study (n=4532), Annals ofOncology (2020), doi: https://doi.org/10.1016/j.annonc.2020.04.479