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Hormontherapie bei Prostatakrebs

22. Oktober 2021 | von Ingrid Müller
Aktualisiert und medizinisch geprüft am 22.10.2021
von Ingrid Müller, Chefredakteurin und Medizinjournalistin

Eine Hormontherapie kann Männern mit fortgeschrittenem Prostatakrebs helfen. Die wichtigsten Fragen und Antworten rund um verfügbare Medikamente sowie die Wirkungen und Nebenwirkungen der Hormonbehandlung. 

Kurzübersicht

  • Was ist eine Hormontherapie? Eine Behandlung für Männer mit fortgeschrittenem Prostatakrebs - sie wirkt im ganzen Körper
  • Wie funktioniert die Hormontherapie? Den Krebszellen wird das Testosteron als “Treibstoff” fürs Wachstum entzogen - oft in Kombination mit anderen Krebstherapien
  • Welche Arten gibt es? Hormonentzung - die Unterdrückung des Testosteronproduktion - und Antiandrogene - schwächen die Wirkung des Testosterons ab
  • Wie funktioniert ein Hormonentzug? Entweder durch Operation (selten) oder Medikamente (LHRH-Analoga und LHRH-Antagonisten)
  • Welche Antiandrogene gibt es? Zum Einsatz kommen heute neuere Antiandrogene der zweiten Generation, z.B.  Enzalutamid, Apalutamid und Darolutamid. 
  • Kastrationsresitenter Prostatkrebs: Die Hormontherapie wirkt nicht mehr - dann können Medikamente wie Abirateron und Olaparib helfen.

Was ist eine Hormontherapie?

Die Hormontherapie ist eine sehr wichtige Behandlungsmöglichkeit für Männer, deren Prostatakrebs schon fortgeschritten ist. Er ist dann nicht mehr lokal auf die Prostata begrenzt, sondern hat schon schon in die Lymphknoten oder weiter entfernt liegende Organe gestreut. Krebsabsiedelungen oder Metastasen sagen Mediziner dazu. 

Der Prostatakrebs lässt sich dann nicht mehr durch lokale Behandlungen wie eine Operation oder Strahlentherapie beseitigen. Vielmehr müssen Ärzte und Ärztinnen Therapien wählen, die im gesamten Körper (systemisch) wirken. Und dazu gehört auch die Hormontherapie. Sie heißt auch noch Antihormontherapie oder Hormonentzungsbehandlung.

Wie funktioniert die Hormontherapie bei Prostatakrebs?

Das Prinzip der Hormontherapie ist es, dem Körper das männliche Geschlechtshormon Testosteron zu entziehen oder seine Wirkung an den Zellen zu blockieren. Unter diesem Einfluss dieses Sexualhormons wächst nämlich der Prostatakrebs bei vielen Männern. Die Krebszellen brauchen Testosterin als "Treibstoff", um sich vermehren zu können. Die Hormontherapie kann den Prostatakrebs oft über Monate oder sogar Jahre ausbremsen. 

Ärzte setzen sie entweder als alleinige Therapie ein oder kombinierien sie mit anderen Krebsbehandlungen: der Operation, Bestrahlung und anderen Medikamenten, etwa einer Chemotherapie.

Die Hormonbehandlung ist auch eine Möglichkeit, wenn noch keine Metastasen vorhanden sind, aber der Prostatakrebs örtlich (lokal) schon fortgeschritten ist. Manchmal spricht der allgemeine Gesundheitszustand eines Mannes gegen eine Operation oder Bestrahlung.

Die Hormontherapie bei fortgeschrittenem Prostatakrebs ist eine sogenannte palliative Behandlung. Das heißt: Sie zielt nicht auf Heilung des Krebses ab. Sie soll jedoch die Krankheit aufhalten, das Überleben verlängern und Beschwerden lindern. Diese Ziele sind mit der Hormontherapie bei Prostatakrebs oft gut zu erreichen.

Covid-19

Lesen Sie, warum Männer mit Prostatakrebs, die eine Hormontherapie anwenden, offenbar vor Covid-19 geschützt sind.

Welche Arten von Hormontherapien gibt es?

Prostatakrebszellen sind so umprogrammiert, dass sie sich unkontrolliert und ungebremst teilen. Bei vielen Männern ist der Prostatakrebs hormonempfindlich. Das bedeutet, dass die Krebszellen das männliche Sexualhormon Testosteron für ihr Wachstum brauchen. Unter dem Einfluss des Testosterons teilen und verbreiten sie sich also immer weiter. Schließlich ist auch das umliegende Gewebe betroffen und später – im Falle einer Metastasierung – auch andere Stellen des Körpers, zum Beispiel die Knochen

Entziehen Ärzte den Tumorzellen das Sexualhormon Testosteron oder blockieren seine Wirkung, fehlt den Krebszellen schließlich der "Treibstoff" für ihr Wachstum. Dadurch lässt sich der Prostatakrebs oft effektiv aufhalten. Manchmal verkleinert sich der Tumor sogar wieder und der Prostatakrebs schreitet über Jahre nicht fort.

Prinzipiell haben Ärzte und Ärztinnen zwei Möglichkeiten, um gegen das Testosteron vorzugehen:

  1. Hormonentzugsbehandlung - die Medikamente unterdrücken die Produktion des Testosterons.
  2. Antiandrogene - die Medikamente schwächen die Wirkung des Testosterons an den Zellen ab.

Hormonentzugstherapie bei Prostatakrebs

Ein Hormonentzug sorgt dafür, dass der Körper das Testosteron erst gar nicht bildet. Dies kann auf zwei Wegen geschehen - durch eine Operation oder Medikamente. Operative oder medikamentöse Kastration sind die (wenig schönen) Fachbegriffe dafür.

-Operation 

Vor allem die Hoden bilden das Testosteron. Früher entfernten Mediziner einfach einen Großteil des Hodengewebes operativ (Orchiektomie), um die Produktion des Geschlechtshormons zu stoppen. Diese operative Kastration führen Ärztinnen heute nur noch selten durch. Denn für die Männer ist sie enorm psychisch belastende und mit einigen unerwünschten Nebenwirkungen verbunden. Sie lässt sich zudem nicht rückgängig machen. Es gibt inzwischen gute Alternativen zur operativen Kastration.

-Medikamente: LHRH-Analoga und LHRH-Antagonisten

Medikamente können dafür sorgen, dass die Hoden kein Testosteron mehr bilden. Es gibt verschiedene Arten von Arzneimitteln:

  • LHRH-Analoga (= GnRH-Analoga): Diese Medikamente wirken auf die Hirnanhangdrüse (Hypophyse), welche die Produktion des Testosterons steuert. Häufig eingesetzte Wirkstoffe sind Buserelin, Goserelin, Leuprorelin und Triptorelin. Anfangs kurbeln LHRH-Analoga die Testosteronproduktion noch an, aber dann kommt sie nach und nach zum Erliegen. Daher kombinieren Mediziner diese Medikamente in den ersten Wochen mit einem anderen Wirkstoff, der die Testosteronwirkung an der Krebszelle aufhebt. Antiandrogene heißen diese Medikamente (siehe Abschnitt weiter unten).
  • LHRH-Antagonisten (= GnRH-Antagonisten): Sie wirken ähnlich wie LHRH-Analoga, unterdrücken aber Testosteronproduktion sofort. Beispiele für häufig eingesetzte Wirkstoffe sind Abarelix oder Degarelix.

 

Sowohl die LHRH-Analoga als auch die LHRH-Antagonisten verabreichen Ärztinnen und Ärzte als Spritzen – je nach Präparat in Abständen von einem oder mehreren Monaten. Die Behandlung entspricht einer Dauertherapie, die Ärztinnen und Ärzte so lange weiterführen, bis sie Wirkung zeigt. Daneben gibt es die Möglichkeit, dass sich Therapiephasen mit Medikamenten und therapiefreie Intervalle abwechseln (intermittierende Therapie). Der Vorteil ist, dass die Nebenwirkungen des Hormonentzugs teilweise wieder zurückgehen.

Eine Hormonentzungstherapie ist mit einigen Nebenwirkungen verbunden. Das gilt sowohl für die operative als auch die medikamentöse Kastration. Denn das Testosteron steuert nicht nur das Wachstum von Prostatazellen, sondern ist noch an vielen anderen Prozessen im männlichen Körper beteiligt. Die Nebenwirkungen können den Wechseljahrsbeschwerden bei Frauen ähneln. Beispiele sind:

  • Hitzewallungen
  • Antriebsschwäche
  • depressive Stimmung
  • Libidoverlust
  • Erektionsstörungen
  • Abnahme der Knochendichte (Osteopenie) bis hin zum Knochenschwund (Osteoporose)
  • Verlust von Muskelmasse
  • Gewichtszunahme
  • Brustschmerzen und Brustvergrößerung

 

Ob diese Nebenwirkungen auftreten und wie stark sie ausfallen, ist von Mann zu Mann verschieden. Dem Risiko einer Osteoporose und dem Muskelabbau können Sie zum Beispiel durch Sport entgegenwirken. Einige andere Nebenwirkungen lassen sich mit Medikamenten behandeln. Sprechen Sie immer mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin darüber.

Hormonentzug

Der Hormonentzug bei Prostatakrebs könnte die Entwicklung von Demenzen fördern, ergab eine Studie.

© Lotusbluete/Pixabay.com

Antiandrogene der 1. und 2. Generation

Im Gegensatz zum Hormonentzug unterbinden Antiandrogene die Testosteronproduktion nicht. Vielmehr blockieren diese Medikamente die Wirkung des männlichen Geschlechtshormons an den Prostatakrebszellen. Sie heißen auch Androgenrezeptorblocker. Antiandrogene haben zwar weniger Nebenwirkungen als die Hormonentzugstherapie, wirken jedoch auch schwächer. Häufig eingesetzte Antiandrogene der ersten Generation sind Bicalutamid, Flutamid und Nilutamid. Es gibt sie in Form von Tabletten.

Inzwischen sind jedoch neuere Antiandrogen der zweiten Generation auf dem Markt. Die am häufigsten eingesetzten Wirkstoffe sind Enzalutamid, Apalutamid und Darolutamid. Sie verhindern ebenfalls, dass sich das Testosteron an eine bestimmte Andockstelle (Androgenrezeptor) binden kann. Allerdings haben sie noch einen zweiten Effekt: Sie verhindern zusätzlich, dass die Wachstumssignale im Inneren der Zelle weitergeleitet werden. Diese Antiandrogene der zweiten Generation wurden erst in den letzten Jahren für verschiedene Stadien des fortgeschrittenen Prostatakrebses zugelassen. 

Einige Anwendungsbeispiele:

  • Enzalutamid - für Männer mit metastasiertem, kastrationsresistentem Prostatakrebs (wächst auch ohne Testosteron weiter)
  • Enzalutamid, Apalutamid und Darolutamid in Kombination mit einer Hormonentzugstherapie - für Männer mit nicht-metastasiertem, kastrationsresistentem Prostatakarzinom, die ein erhöhtes Risiko für die Bildung von Metastasen haben.
  • Enzalutamid und Apalutamid in Kombination mit einem Hormonentzug waren in Studien auch bei metastasierte Prostatakrebs gut wirksam, wenn dieser noch nicht kastrationsresistent war.

 

Antiandrogene der ersten Generation haben vergleichweise wenig Nebenwirkungen. Typisch ist jedoch, dass die Brustdrüsen schmerzhaft anschwellen (Gynäkomastie). Nebenwirkungen bei Antiandrogenen der zweiten Klasse können sein:

  • Müdigkeit
  • Hitzewallungen
  • Bluthochdruck
  • Hautausschlag
  • Durchfall

 

Kastrationsresistenter Prostatakrebs: Medikamente

Bekannt ist, dass die Hormonentzugstherapie nicht dauerhaft wirkt. Denn Krebszellen entwickeln im Lauf der Behandlung verschiedene Wege, um den Testosteronmangel zu umgehen und sich auch ohne das Hormon teilen und vemehren zu können. Dann wird der Prostatakrebs "kastrationsresistent". Schon geringste Mengen an Testosteron genügen den Krebszellen dann für ihr Wachstum.

Kastrationsresistenter Prostakrebs

Lesen Sie, wie sich eine kastrationsresistenter Prostakrebs noch gut behandeln lässt

© sebra/Adobe Stock

Wie schnell sich eine kastrationsresistenter Prostatakrebs entwickelt, ist individuell verschieden und lässt sich nicht genau vorhersagen. Es hängt unter anderem davon ab, wie aggressiv und schnellwachsend der Prostatakrebs ist. Im Schnitt sind Prostatakarzinome nach 1,5 bis 2,5 Jahren kastrationsresistent.

-Abirateron

Eine Therapiemöglichkeit ist es, die Bildung des Testosterons auch außerhalb der Hoden zu unterbinden. Der Wirkstoff Abirateron greift in den hormonelle Regelkreis ein und stoppt die Testosteronproduktion sowohl in den Hoden als auch in den Nebennieren und im Krebsgewebe. Ärztinnen und Ärzte führen die ursprüngliche Hormontherapie aber weiter fort. Abirateron ist in Form von Tabletten erhältlich und kommt unter anderem zum Einsatz bei:

  • metastasiertem, kastrationsresistentem Prostatakrebs, wenn noch keine oder nur milde Symptome vorhanden sind
  • Nach einer ersten Chemotherapie, z.B. mit Docetaxel. Dieses ein Zellgift (Zytostatikum), das Ärzte im Rahmen einer Chemotherapie verabreichen
  • Männern mit neu diagnostiziertem Hochrisiko-mHSPC (metastasiertem hormonsensitivem Prostatakarzinom) -  in Kombination mit einer Hormonentzugstherapie

 

Abirarteron kann einige Nebenwirkungen verursachen, zum Beispiel:

  • Wassereinlagerungen (Ödeme)
  • Kaliummangel
  • Bluthochdruck

 

Diese Effekte lassen sich durch die gleichzeitige Anwendung von "Kortison" (Prednison, Prednisolon) vermindern.

-Olaparib

Der Wirkstoff Olaparib ist seit November 2020 für Männer mit metastasiertem, kastrationsresistenten Prostatakrebs mit einer BRCA1- oder BRCA2-Mutation zugelassen, die mit einer Hormonblockade behandelt werden und deren Krebs trotz Therapie weiter wächst. BRCA 1 und 2 sind eigentlich "Brustkrebsgene". Der Prostatakrebs dieser Männer liegt in diesem Fall in den Genen. Sie erkranken meist schon in jungen Jahren. 

Oloparib zählt zu den sogenannten "zielgerichten Therapien" (engl. targeted therapy). Der Wirkstoff hemmt bestimmte Eiweiße (sog. "PARP-Enzyme"). Diese spielen bei der Repataratur von beschädigtem Ergbut (DNA) in den Krebszellen eine wichtig Rolle. Können die Enzyme nicht mehr richtig arbeiten, gelingt auch die Zellreparatur nicht mehr - die Tumorzellen sterben ab. 

Die wichtigsten Nebenwirkungen sind:

  • Übelkeit und Erbrechen
  • Erschöpfung
  • Blutarmut
  • Veränderungen des Blutbildes
  • Durchfall
  • Appetitlosigkeit
  • Kopfschmerzen
  • Geschmacksstörungen
  • Husten
  • Kurzatmigkeit
  • Schwindel
  • Sodbrennen

 

Oft lässt sich durch diese Krebsbehandlungen eine gute Lebensqualität erzielen und viele Männer können ihren Alltag weiterhin gut bestreiten.

Quellen: