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Krebsbehandlung – 4 Verbesserungen, die sich Krebspatienten wünschen

07. August 2019 | von Ingrid Müller

Wie erleben Krebspatienten weltweit ihre Diagnose, Behandlung und Betreuung? Eine internationale Umfrage filterte vier Bereiche heraus, bei denen es aus der Sicht von Krebspatienten hapert – von der Krebsdiagnose  über die Behandlung bis hin zu finanziellen Aspekten. 

Eine Krebsbehandlung ist komplex und will gut geplant sein. Am besten ist sie für jeden Patienten individuell maßgeschneidert. Denn nicht nur die Art, Ausbreitung und Gefährlichkeit des Krebses spielt für die Wahl der Therapie eine Rolle, sondern auch das Alter, der allgemeine Gesundheitszustand sowie die Wünsche und Einstellungen eines Menschen. 

An der gemeinsamen Entscheidungsfindung für oder gegen eine Krebsbehandlung sind bestenfalls sowohl Ärzte verschiedenster Fachrichtungen als auch der Krebspatient selbst beteiligt. Sie sollen gemeinsam eine Entscheidung treffen, welchen Therapien am besten geeignet sind – und zwar auf der Basis von verlässlichen, wissenschaftlich geprüften Informationen. Shared Decision Making ist der Fachbegriff dafür. So lautet jedenfalls die offizielle Empfehlung, wenn es um die Planung und Durchführung von Krebstherapien geht.

Gemeinsame Entscheidungsfindung

Lesen Sie, wie das Shared Decision Making zwischen Arzt und Patient funktioniert.

 

Krebsbehandlung: „Patienten werden bei der Planung vergessen“

Dass dies in vielen Fällen offenbar nicht ganz der Realität entspricht, fand jetzt eine Umfrage der internationalen Krebsinitiative All.Can heraus: Fast die Hälfte der Krebspatienten hat das Gefühl, am Prozess der Entscheidungsfindung bei der Krebstherapie nicht ausreichend beteiligt zu sein. „Die Patienten werden oft vergessen, wenn Ärzte die Krebsbehandlung planen“, erklärt Alex Filicevas, Mitglied des Steuerungs-Komitees der Krebsinitiative. Auch in vielen anderen Bereichen haperte es aus Sicht der Krebspatienten.

Die internationale Umfrage fand weltweit in insgesamt zehn Ländern statt, unter anderem Italien, Spanien, Belgien, Schweden, Kanada und Australien. Fast 4.000 Krebspatienten mit verschiedensten Tumorarten nahmen an den Online-Interviews zwischen Januar und November 2018 teil. Die Forscher wollten mehr über die Perspektive der Krebserkrankten erfahren:

  • Wo empfanden sie sich nicht ausreichend informiert und beteiligt?
  • Wie sah die Betreuung über die gesamte Krebsbehandlung aus?
  • Wie beeinflusste die Krebskrankheit ihr weiteres Leben?

 

Basierend auf ihren Auskünften identifizierten die Autoren der Umfrage vier Themengebiete, bei denen Handlungs- und Verbesserungsbedarf besteht.

 

1. Krebsdiagnose – viele müssen zu lange warten

Bei vielen Krebsarten kann eine frühe Diagnose das Überleben verbessern. Fast ein Drittel (32 Prozent) der Patienten, deren Krebs außerhalb eines Screening-Programms diagnostiziert worden war, gaben jedoch Folgendes an: Ihr Krebs sei zunächst als etwas ganz anderes eingestuft und nicht erkannt worden – entweder einmal oder sogar mehrmals. Zu beachten ist dabei, dass es nicht in allen Ländern Screenings (Reihenuntersuchungen bei Gesunden) auf bestimmte Krebsarten gibt.

Auch sei oft viel Zeit verstrichen, bis sie die Krebsdiagnose erhalten hätten. Die Zeitspanne variierte jedoch von Krebsart zu Krebsart. So verging bei rund 80 Prozent der Männer, deren Prostatakrebs nicht im Rahmen eines Screenings entdeckt worden war, etwa ein Monat bis zu Krebsdiagnose. Wer lange auf diese gewartet hatte, bewertete anschließend auch die weiteren Schritte in der Krebsbehandlung tendenziell negativer. Das galt besonders für die Bereiche „Information“ und „Unterstützung“.

"Es gab zeitliche Verzögerungen bei der Diagnosestellung. Ich habe mich wie ein Idiot gefühlt wegen meiner Symptome, die ich erlebte – sie wurden als Magen-Darm-Virus oder Angststörung abgetan."

Krebspatient aus Italien

Zudem vermissten viele das Mitgefühl – die Empathie – und kritisierten das manchmal schlechte „Timing“. So erhielten einige ihre Krebsdiagnose an einem Freitagabend und mussten bis zum Wochenbeginn auf weitere Informationen warten. Bei manchen war kein Familienmitglied anwesend, als sie die Diagnose mitgeteilt bekamen.

Gut ein Viertel der Befragten (26 Prozent) erklärte daher, die Krebsdiagnose sei der ineffizienteste und verbesserungsbedürftigste Teil bei ihrer Reise durch die Krebsbehandlung und ‑betreuung gewesen. Diesen Bereich der Diagnose kritisierten Patienten häufiger als alle anderen.

 

2. Mangelnde Informationen zur Krebsbehandlung

Auch bei der Information hakte es, wie viele Krebspatienten fanden. Etwa ein Drittel (31 Prozent) sagte, sie hätten die Informationen zur Krebsbehandlung nicht so erhalten, dass sie diese als Laien richtig verstehen konnten. Andere beklagten, sie hätten zu viele Informationen auf einmal erhalten. Zeitweise habe sie das völlig überfordert. Besser hätten sie es gefunden, wenn sie die wirklich wichtigen Informationen zu jeweils geeigneten Zeitpunkten im Verlauf ihrer Krebsbehandlung bekommen hätten, also „häppchenweise“.

Alle Behandlungen bei Prostatakrebs

Welche Behandlungsmöglichkeiten haben Männer mit Prostatakrebs und welche sind geeignet? Alle Antworten im Therapie-Überblick »»

Dieser Kritikpunkt ist gut nachvollziehbar, denn eine Krebsbehandlung mit OperationChemotherapieBestrahlung und anderen Therapien ist langwierig, dauert meist Monate und ist mit einigen Nebenwirkungen verknüpft. Die Krebsbehandlung stellt sich für viele als „großer Brocken“ dar, den sie nur schrittweise zu sich nehmen und auch nur langsam verdauen können.

Darüber hinaus fühlte sich fast die Hälfte aller Befragten (47 Prozent) nicht ausreichend an der Entscheidungsfindung beteiligt, welche Behandlungsmöglichkeiten am besten für sie seien. Und etwa 39 Prozent der Befragten gaben an, nicht genügend Unterstützung erhalten zu haben, was den Umgang mit den auftretenden Symptomen und Nebenwirkungen der Krebstherapien anging. Dieses Problem war bei Personen mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung stärker ausgeprägt.

So waren nach Einschätzung der Patienten Informationen zur Schmerzbewältigung und Palliativmedizin nicht jederzeit vorhanden und zugänglich. 31 Prozent der Befragten verfügten nicht über genügend Wissen, um mit ihren erlebten Schmerzen gut umgehen zu können. Wer jedoch Zugang zu palliativen Maßnahmen hatte, war mit diesem Teil der Krebsbehandlung sehr zufrieden. Manche sagte, die Möglichkeiten der Palliativmedizin seien niemals mit ihnen diskutiert worden.

"Ich möchte nicht mehr Informationen über Krebs, sondern bessere."

Krebspatient aus den USA

 

Krebs-Rückfall und Selbsthilfe

Ein Punkt lag den befragten Krebspatienten besonders am Herzen: Die Rückfallgefahr. 35 Prozent fühlten sich nicht ausreichend darüber informiert, an welchen Symptomen sie eine Rückkehr oder Verschlechterung ihrer Krebserkrankung erkennen könnten. Sie wussten nicht, was sie nach dem Abschluss der Erstbehandlung genau erwartet.

Auch die Möglichkeiten der Unterstützung durch Selbsthilfegruppen waren nicht jedem Krebspatienten präsent. Dabei ist bekannt, dass sich der Kontakt mit anderen Betroffenen und Gleichgesinnten bei vielen Menschen mit Krebs positiv auswirkt. Sie erkennen, dass sie mit ihrer Krebserkrankung nicht alleine sind. Zudem bekommen sie Tipps von anderen, die ihre Krebsbehandlung schon durchlaufen und hinter sich haben. Manchmal wissen sie im Alltag sogar besser Bescheid als ein Arzt, was hilfreich ist und was nicht. Doch 41 Prozent der Befragten gaben an, von den Mitarbeitern ihrer Klinik keinerlei Informationen bezüglich der Selbsthilfegruppen bekommen zu haben.

 

3. Multidisziplinäre Krebsbehandlung – für viele jenseits der Realität

Die Umfrage zeigte außerdem, dass die integrierte, multidisziplinäre Onkologie für viele Patienten noch ein Fremdwort ist. Sie bedeutet, dass an der Krebsbehandlung immer mehrere Spezialisten verschiedenster Fachrichtungen beteiligt sind: Ärzte, Krankenschwestern und ‑pfleger, Psychologen, Sozialdienste oder Seelsorger. Sie arbeiten Hand in Hand. Zudem koordinieren sie die Krebsbehandlung und Termine so, dass ein Krebspatient möglichst wenig zusätzlichen Stress erlebt.

Die meisten Krebspatienten hatten den Eindruck, dass es an der Koordination fehle. Sie hatten zum Beispiel keinen schriftlichen Behandlungsplan oder wussten nicht, an welche Stelle sie sich mit ihren Fragen wenden sollten. Wer jedoch von Pflegepersonal betreut wurde, welches gut mit Krebspatienten vertraut war, sagte, dessen Rolle sei für ihn entscheidend gewesen sei. Die Schwestern und Pfleger hätten sie sehr gut als „Lotse“ durch die gesamte Krebsbehandlung hindurch navigiert.

Auch Ernährungsspezialisten (Oecotrophologen) oder Physiotherapeuten können Krebspatienten wirksam unterstützen. 24 Prozent gaben jedoch an, es sei nicht jederzeit eine solche Fachkraft verfügbar gewesen. Auch hätten sie sich mehr Informationen darüber gewünscht, wie sie ihre Behandlung und die Genesung selbst durch Ernährung, Sport, Bewegung oder komplementäre Krebsbehandlungen unterstützen könnten.

 

Psychoonkologie ist vielen wichtig

Auch bei der psychologischen Unterstützung hapert es oft: 69 Prozent gaben an, sie hätten gerne psychologische Unterstützung gehabt – entweder während der Krebsbehandlung oder danach. 

Psychoonkologie

Lesen Sie, was Psychoonkologie ist und warum psychologische Unterstützung für jeden Krebspatienten ratsam ist

Gut ein Drittel von ihnen (34 Prozent) erklärte jedoch, es sei keine psychologische Hilfe verfügbar gewesen. Und wenn, dann empfanden sie diese nicht immer als hilfreich. Viele hätten sich außerdem auch für ihre Angehörigen psychologische Unterstützung gewünscht. Denn bekannt ist, dass eine Krebserkrankung nicht nur den Patienten selbst betrifft, sondern die gesamte Familie. Dies zeige, dass Verbesserungen bei psychoonkologischen Angeboten dringend nötig seien, so die Autoren.

"Ich glaube, die psychologische Hilfe wird oft vergessen. Natürlich steht es im Vordergrund, dass wir die Krebserkrankung überleben. Aber es ist genauso wichtig, sich begleitet, unterstützt und verstanden zu fühlen."

Krebspatient aus den Spanien

 

4. Auch die Finanzen leiden während der Krebsbehandlung

Dass eine Krebserkrankung für viele finanziell bedrohlich ist und arm machen kann, haben schon frühere Studien nachgewiesen. Dies gilt besonders für Männer, die nach wie vor oft die Alleinverdiener in der Familie sind. Dann kommt zu dem Druck durch die Krebserkrankung noch die Sorge vor einem finanziellen und gesellschaftlichen Abstieg hinzu. Sie verlieren während der oft monatelangen Therapien nicht nur ihr Einkommen ganz oder zumindest teilweise. Vielmehr müssen sie obendrein noch einige Ausgaben stemmen, mit denen sie vorher nicht gerechnet haben und die ihr Budget oft nicht hergibt.

Krebs und Geld

Eine Krebserkrankung kann arm machen, fand eine Studie heraus.

Diese Kosten stehen direkt oder indirekt mit der Krebsbehandlung in Verbindung: Patienten müssen zum Beispiel bei den Therapien Geld hinzuzahlen, mit dem Taxi in die Klinik fahren oder für Haushaltshilfen oder Kinderbetreuung bezahlen. So nimmt der finanzielle Druck auf die Familien enorm zu durch eine Krebserkrankung. Für 36 Prozent der Befragten waren die Reisekosten ein großes Problem. Und 26 Prozent der Krebspatienten berichteten von finanziellen Einbußen im Beruf aufgrund ihrer Krebskrankheit. Besonders Selbstständige und Familien mit kleinen Kindern erlebten finanzielle Schwierigkeiten.

Diese dauerten oft noch weit über den Abschluss der Krebsbehandlungen hinaus an. Die Patienten berichteten von negativen Auswirkungen auf ihre Arbeitsfähigkeit, ihr Leistungsvermögen und ihre Produktivität. In manchen Fällen bedeutete die Krebsdiagnose sogar eine lebenslange finanzielle Unsicherheit.

"Es ist unmöglich, von der Bank einen Kredit zu bekommen. Man wird dafür bestraft, dass man krank ist. Es kommt dann nur noch aufs Glück an."

Krebspatient aus den Belgien

 

So soll die Krebsbehandlung besser werden

Aufgrund dieser Einblicke geht es jetzt darum, den Patienten mehr Gehör zu verschaffen – und zwar bei jenen Verantwortlichen, die tatsächlich positive Veränderungen herbeiführen können. Den Forschern zufolge sind das Politiker, die für Reformen im Gesundheitssystem verantwortlich sind. Aber auch die Gesellschaft müsse umdenken, um Menschen mit oder nach einer Krebserkrankung adäquate Hilfestellungen zu bieten. Wenn die patientenorientierte Krebsbehandlung nicht nur eine Worthülse sein solle, sondern man es ernst nehme, was die Krebspatienten bewege, dann müssten diese Wünsche neben den ökonomischen und therapeutischen Notwendigkeiten berücksichtigt werden.

"Die Häufigkeit, Komplexität und die Kosten von Krebserkrankungen nehmen weltweit überall auf dem Globus zu. Daher ist es zwingend notwendig, dass wir Ärzte den Krebspatienten besser zuhören und ihre Erfahrungen bei der Krebsbehandlung verbessern."

Alex Filicevas, Krebsinitiative All.Can

Das Ignorieren dieser Studienergebnisse sei eine „verpasste Chance“, das Richtige für die Patienten zu tun, findet Filicevas . Solche Veränderungen könnten jedoch den entscheidenden Unterschied für sie ausmachen. Und Christobel Saunders von the University of Western Australia fügt hinzu: „Jede dieser identifizierten Themenbereiche stellt eine Gelegenheit dar, die Krebsbehandlung für die Patienten besser zu machen – und so eine wirkliche patientenorientierte Behandlung anzubieten.“

Auch wenn das Gesundheitssystem in Ländern wie den USA, Australien oder Italien sehr unterschiedlich ist und Deutschland an der Umfrage nicht beteiligt war – den einen oder anderen Verbesserungsbedarf gibt es sicherlich auch hierzulande.

Quellen