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Outdoor against Cancer: "Wir gehen raus, magst mit?"

10. Mai 2019 | von Ingrid Müller

Sport und Bewegung können Krebspatienten aus der Krise und über den Berg helfen. Wir sprachen mit Petra Thaller, Gründerin der Initiative Outdoor against Cancer (OAC), warum das Bergwandern so schön ist und der wichtigste Schritt der vor die Haustüre ist.

Petra Thaller, Gründerin von Outdoor against Cancer © Claudia Ziegler

Frau Thaller, warum soll denn ein Krebspatient in die Berge gehen und zum Gipfelstürmer werden?

Das kann ich schnell beantworten: Wer nur drei- bis vierhundert Meter nach oben steigt, bekommt einen vollkommen anderen Blick auf die Welt: Er weitet und öffnet sich nämlich für vieles, was wir vorher gar nicht gesehen und wahrgenommen haben. Bei vielen Krebspatienten verengt sich der Blick ja zeitweise nur auf die Therapien. Auf einem Berg können Sie die Dinge anders betrachten und Ihren Horizont – bildlich gesprochen – in die Ferne schieben. Waldbaden ist natürlich auch sehr gesund, hier fehlt jedoch der Weitblick ähnlich einem Spaziergang in engen Häuserschluchten, dort können Sie ebenfalls keinen Weitblick bekommen. Wer keine Berge mag oder vor der Nase hat, kann übrigens bei uns auch Segeln.

Segeln? Das verbinden doch viele mit dem Herumliegen wie auf einem Kreuzfahrtschiff …

Da täuschen Sie sich aber! Damit hat Segeln überhaupt nichts zu tun, sondern es ist richtig Arbeit. Sie setzen Segel, holen sie wieder ein, laufen Treppauf-Treppab und machen außerdem noch viele Ausflüge an Land – alles in allem rackern Sie ganz schön.

Was können Outdoor-Aktivitäten einem Krebspatienten geben, was er vorher nicht hatte?

Bergsteigen ist gut für den Körper, weil Sie sich natürlich anstrengen müssen, um hoch zu kommen. Und für die Psyche sind Berge sowieso einzigartig: Die Natur reduziert Stress, stärkt die Seele und macht glücklich. So gut Entspannungsmethoden wie Yoga oder Pilates auch sind – sie finden oft drinnen in der Halle statt. Wir brauchen aber den Park, das Licht, die Sonne und das soziale Miteinander fürs Wohlempfinden. Wer mit uns Berge erklimmt, baut sein Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein wieder auf und bekommt wieder ein Gefühl dafür, was er sich zumuten kann.

Dass Sport die beste Medizin ist, weiß eigentlich jeder – dennoch können viele ihren Schweinehund nicht überwinden, Krebs hin oder her. Warum ist das so?

Wahrscheinlich liegt es daran, dass der Mensch grundsätzlich ein wenig faul ist. Leider! Vermutlich ist das Bequem-Sein irgendwo in uns angelegt. Wir schwärmen heute von E‑Rollern oder E‑Bikes, um die es jetzt einen richtigen Hype gibt. Stattdessen könnten wir uns auch das normale Fahrrad schnappen und in die Pedale treten oder die Wanderschuhe schnüren. Das tun wir aber nicht, oder jedenfalls nicht ohne weiteres. Daran müssen wir arbeiten! Eigentlich müssen wir schon bei Kindern ansetzen und sie zur Bewegung animieren. Dann brauchen wir körperliche Aktivität als Erwachsene nicht neu zu erlernen wie ein Grundschüler das Schreiben.

Sie erzählen davon davon, wie schwierig es ist, Menschen vor allem in Krisensituationen nachhaltig zu motivieren und aus dem ‚Schlaf‘ zu holen. Kein Wunder, eine Krebsdiagnose traumatisiert viele. Wie rütteln Sie sie dennoch wach?

Gute Frage, aber wenn Sie mich gerade reden hören, dann wissen Sie die Antwort vermutlich schon. Es gelingt mir, weil ich Menschen begeistern kann. Sie zu motivieren, ist zwar nicht einfach, funktioniert aber scheinbar. Ich mache unseren Teilnehmern klar, was schön ist am Sport und warum sie ohne Bewegung bald gar nicht mehr auskommen wollen. Natürlich weiß ich, dass nicht jeder – wie ich – zur Chemotherapie radelt, sondern viele kommen gut behütet mit dem Auto oder Taxi in die Klinik. Man muss seine angestaubten Denkmuster über Bord werfen. Viele merken schon nach drei Trainingseinheiten, wie toll Bewegung ist. Dann kommen sie mit dem Fahrrad, trainieren 60 Minuten und radeln wieder zurück. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt 150 Minuten körperliche Aktivität. Von diesem Ziel sind wir dann gar nicht mehr so weit entfernt. Der wichtigste Schritt ist der vor die Haustüre.

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Wer kann zu den Trainings von Outdoor against Cancer kommen?

Jeder kann kommen: Ehemänner, Ehefrauen, Lebenspartner, Kinder, Freunde. Wir sind offen für alle und besondere Teilnahmekriterien gibt es bei uns nicht. Wir fragen einfach nur: ‚Wir gehen raus, magst mitmachen‘? Niemand muss sich als Krebspatient outen, wenn er nicht möchte. Wir etikettieren unsere Teilnehmer nicht. Zu uns kommen Menschen nach den Krebsbehandlungen, aber auch Patienten, die mitten in einer Chemotherapie stecken. Man muss kein Profisportler sein, sondern kann auch ganz langsam als Einsteiger beginnen.

Haben Sie nicht Angst, dass jemand während des Trainings zusammenklappt?

Nein, das haben wir noch nicht erlebt. Klar ist, dass jeder Krebspatient sich vorher mit seinem Arzt beraten soll, wie viel Bewegung und Anstrengung für ihn machbar ist und ihm guttut. Niemand soll sich überfordern und gleich 40 Kilometer laufen. Aber wir machen ihm aber auch keine Angst, weil er sich sonst nichts zutraut und auch der Couch sitzen bleibt. Keiner muss ein ärztliches Attest mitbringen. Wir haben einen eigenen Fragebogen, mit dem wir die körperliche Leistungsfähigkeit einschätzen, einzig eine Haftungsfreistellung müssen die Teilnehmer unterschreiben.

Viele Krebspatienten fühlen sich unfit, kommen schnell aus der Puste und befürchten, nicht mithalten zu können. Was tun Sie dann?

Ich belüge sie nicht und sage ihnen ehrlich, dass sie keine Wunder in Sachen Fitness erwarten dürfen. Auch wenn die Gesellschaft suggeriert, dass wir immerzu Höchstleistungen vollbringen müssen. Es braucht Zeit, bis sich der Köper wieder erholt hat und ist ein Weg der kleinen Schritte. Und dann erkläre ich ihnen, warum sie unter drei Monaten Training gar nicht erst nicht anzufangen brauchen. Das mag vielleicht ein bisschen hart klingen, aber in dieser kurzen Zeit werden Sie nicht vom Bewegungsvirus infiziert. Deshalb bieten wir auch besondere Trainingspläne mit Übungen für Zuhause an. Und dann versuche ich immer herauszukriegen: Kann jemand nicht mehr oder will er einfach nicht mehr? Im letzten Fall sage ich ihm: ‚Beweg dich und tu was für dich!‘

Und wie finden das Ihre Bergsteiger, wenn es ein bisschen ruppiger zugeht?

Die meisten finden es gut, wenn Ihnen man die Wahrheit sagt, natürlich nicht alle. Nur einmal ist jemand nicht mehr gekommen, aber vermutlich aus anderen Gründen. Die Mehrheit bleibt dabei und versäumt kein einziges Training. In erster Linie trainieren wir und lachen viel.

Wenn Sie uns einige besondere Erfahrungen ihrer Teilnehmer beschreiben würden – welche wären das?

Das sind so einige Dinge, die bei mir hängen geblieben sind. Eine Frau sagte mir, dass sie das Atmen auf dem Berg am schönsten findet, eine war vom Liegen im Gras so begeistert und wieder anderen macht das Ballspielen am meisten Spaß. Das haben ja viele zuletzt als Jugendliche gemacht, wer spielt heute als Erwachsener noch Ball? Ein junger Mann, der einen Gehirntumor hat, sagte: ‚Thaller, du bist die beste Psychoonkologin‘. Und ein Mann, der seine Frau zu den Trainings begleitet, schickte mir kürzlich ein Foto von der leeren Wiese, auf der wir immer trainieren. Drunter stand: ‚Thallers Schmerzensacker‘ – er hatte ziemlichen Muskelkater.

Sie bilden spezielle Trainer aus, die Krebspatienten in der Natur an die Hand nehmen. Was muss ein Trainer wissen und können im Umgang mit ihnen?

Sie müssen auf jeden Fall eine fundierte Ausbildung mitbringen, zum Beispiel als Wanderführer oder zertifizierter Skipper bei Segeltörns, in jedem Falle eine Fitnesstrainer B‑Lizenz oder eine vergleichbare Qualifikation. Aber das alleine genügt noch nicht: Sie brauchen auch eine – ich nenne es einmal ‚psychische Qualifikation‘. Bei manchen Bewerbern hatte ich den Eindruck, sie bräuchten erst einmal selbst eine Therapie. Wer mit Krebspatienten zu tun hat, darf kein Helfersyndrom haben, muss aber jemanden mit einem Heulkrampf gut auffangen können. Er muss mit Menschen umgehen können, lebensfroh und positiv sein, einen gesunden Menschenverstand besitzen und Dinge hinterfragen. Er darf Patienten nicht mit Samthandschuhen anfassen, sondern muss ihnen auch etwas zutrauen und abverlangen. Auf den Punkt gebracht: Ein Trainer muss psychisch stabil und gut geerdet sein.

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Ganz schön hoch die Anforderungen – finden sich da überhaupt geeignete Kandidaten?

Aber ja! Etwa 80 Trainer arbeiten derzeit für Outdoor against Cancer. Gemeinsam mit der TU München haben wir ein Ausbildungskonzept entwickelt, das wir wissenschaftlich begleiten lassen und international auf andere Länder ausrollen wollen, zum Beispiel Schweden, Österreich, Italien und Griechenland. Das geschieht im Rahmen unseres durch die Europäische Union co-finanzierten Projekts OaC: my goal, Outdoor against Cancer: move yourself, go out and live.

Die Trainer müssen unter anderem einiges über Ernährung wissen. Denn sie werden mit Sicherheit mit solchen Fragen konfrontiert: Soll ich mich lieber ketogen, ohne Gluten, laktosefrei, vegetarisch oder gleich vegan ernähren? Bitte nicht falsch verstehen – ich möchte mich nicht lustig machen darüber, aber viele lesen solche Ratschläge im Internet. Und darauf müssen wir vorbereitet sein und fachlich fundierte Antworten liefern. Wir begreifen uns sozusagen als verlängerten Arm der Therapie.

Sie selbst haben Ihre Initiative „Outdoor against Cancer“ noch während Ihrer eigenen Krebsbehandlung gegründet. Da kämpfen anderen mit den vielen Nebenwirkungen, und auch ihr Umfeld hat den Kopf geschüttelt. Ihre Triebkraft?

Ich setze alles, wirklich alles daran, die Wichtigkeit des Themas Bewegung und Sport in der Gesellschaft zu verankern. Wir müssen schon viel früher ansetzen und Eltern dazu erziehen, dass sie ihre Kindern nach draußen schicken, zu Schule laufen oder radeln lassen und sie nicht mit dem SUV vor die Türe fahren. Wir sind heute eine ‚Heilungsgesellschaft“ und keine, bei der die Prävention eine große Rolle spielt. Aber es gibt schon eine vorsichtige Gegenbewegung, und die müssen wir stärken.

Sie sind an Krebs erkrankt, obwohl Sie vieles richtig gemacht haben: Zeitlebens waren Sie Sportlerin und zuvor nie ernsthaft krank gewesen. Haben Sie Gesundheit deshalb als selbstverständlich erachtet?

Nein, das habe ich nie gedacht. Schon deshalb nicht, weil meine Mutter in meiner Kindheit auch an Krebs erkrankt ist. Man kann nicht päpstlicher als der Papst sein und mit einem gesunden Lebensstil auch nicht sämtlichen Krankheiten vorbeugen. Es geht ja immer um das Leben, seine Sinnhaftigkeit, den Genuss und die Lebensfreude. In gewissen Weise bin ich sogar ein spiritueller Mensch: Ich glaube immer fest daran, dass alles gut geht.

Das Interview führte Ingrid Müller.

OAC 

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