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Prostatakrebs: Irreversible Elektroporation (IRE) mit Starkstrom

07. März 2019 | von Ingrid Müller

Lässt sich Prostatakrebs mit mehreren 1000 Volt besiegen? Die irreversible Elektroporation (IRE) versucht genau das. Wie die Therapie mit elektrischem Skapell funktioniert und abläuft.

Die Irreversible Elektroporation, abgekürzt IRE, ist eine relativ neue Behandlungsmethode für Männer mit Prostatakrebs, die mit elektrischen Feldern und Starkstrom arbeitet. Eine Spannung von mehreren 1000 Volt soll Krebszellen in der Prostata gezielt zum Absterben bringen. Auch wenn das Wort „Starkstrom“ in Verbindung mit ihrer Prostata wohl vielen Männer die Schweißperlen auf die Stirn treiben dürfte: Die Methode ist nicht schmerzhaft und gesundes Gewebe soll dabei so weit wie verschont bleiben. Denn Ärzte beschießen die Tumorzellen in der Prostata nur Bruchteile von Sekunden und örtlich begrenzt mit Stromstößen.

Wie die HIFUKälte- oder Wärmetherapie zählt die irreversible Elektroporation zu den fokalen Therapien, die nur auf den Krankheitsherd selbst abzielen. „Die IRE ist ein interessantes Verfahren, weil es nur die Krebszellen zerschießt und wenige Nebenwirkung hat“, sagt Dr. Tobias Egner, Urologe an der Missioklinik in Würzburg. Auch bei Bauchspeicheldrüsen- und Leberkrebs werde es schon eingesetzt.

 

„Irreversible Elektroporation nur im Rahmen von Studien“

Die irreversible Elektroporation ist derzeit noch keine etablierte Behandlung bei Prostatakrebs. „Diese Therapie ist hochexperimentell und darf nur im Rahmen von Stadium angewendet werden“, erklärt Egner. Ob die Methode tatsächlich wirkt, müssen Forscher erst noch beweisen. Sie eignet sich auch nur für Männer mit frühem Prostatakrebs, der noch auf die Vorsteherdrüse beschränkt ist. In diesem Fall hat er die Kapsel noch nicht durchbrochen und womöglich in andere Organe gestreut.

 

Wie funktioniert die irreversible Elektroporation? Der Ablauf

Ärzte versuchen bei der irreversiblen Elektroporation, die Tumorzellen in der Prostata punktgenau durch eine sehr starke, örtlich angelegte elektrische Spannung zu zerstören. Dafür platzieren sie über den Damm – wie bei der Prostatabiopsie – einige Elektroden in jenem Bereich der Prostata, den sie behandeln wollen. Die Elektroden sind ungefähr so groß und dick wie Stopfnadeln. Zwischen jeweils zwei Elektroden wird das elektrische Feld aufgebaut und der starke Strom erzeugt. Die Spannung beträgt mehrere 1000 Volt. Allerdings sind die elektrischen Stromimpulse, die Ärzte wiederholt ins Tumorgewebe schicken, extrem kurz und betragen nur wenige Mikrosekunden. „Es sind etwa 90 Pulsschüsse über 60 Minuten“, erklärt Urologe Egner. Daher erhitzt sich auch das Gewebe nicht.

Was genau mit den Zellen durch Strombeschuss passiert, ist noch nicht vollständig aufgeklärt. Forscher gehen davon aus, dass der Starkstrom winzige Poren in den Zellhüllen (Membranen) der Krebszellen reißt. Diese öffnen sich und werden durchlässig, was schließlich die Zellen absterben lässt. Der Körper transportiert die toten Zellen schließlich ab und entsorgt sie als „Zellmüll“. Gesundes Gewebe, Nerven und Blutgefäße schont die irreversible Elektroporation beziehungsweise es erholt sich schnell wieder.

Den Eingriff führen Ärzte stationär im Krankenhaus unter Vollnarkose durch. Männer müssen also kurz in der Klinik bleiben. Die irreversible Elektroporation ist auch unter dem Namen „NanoKnife®“, bekannt – nach dem Anbieter, der die Ausrüstung für die Behandlung liefert. Dahinter steckt nichts anderes als ein ultrafeines Elektromesser oder elektronisches Skalpell, das Krebszellen abtötet.

 

Strom nicht nur gegen Krebs

Dass sich Zellen auf diese Weise abtöten machen lassen, macht sich die Lebensmittelindustrie übrigens schon seit Jahrzehnten zu Nutze: Hersteller entkeimen und sterilisieren ihre Lebensmittel mittels IRE. Wenn sie frei von Mikroorganismen wie Bakterien sind, halten sie auch länger.

 

Welche Nebenwirkungen hat die irreversible Elektroporation?

Forscher gehen davon aus, die die IRE weniger Nebenwirkungen verursacht als Behandlungen, die Tumoren mittels Hitze zerstören. Komplikationen wie eine Entzündung des Einstichkanals oder Blutungen sind dennoch möglich. Auch die langfristigen Nebenwirkungen und mögliche Komplikationen der IRE sind noch nicht gut erforscht.

Wie gut die irreversible Elektroporation bei Prostatakrebs wirkt, darüber lässt sich noch keine abschließende Aussage treffen. Die Schwachpunkte der vorliegenden Studien sind unter anderen, dass zu wenige Männer teilgenommen haben und die Nachbeobachtungszeit zu kurz ausgefallen ist. Eine kleine Studie mit 34 Prostatakrebspatienten ergab, dass nur 61 Prozent der Männer ein Jahr nach der IRE tumorfrei waren. Dagegen ließen sich bei 39 Prozent noch Krebszellen in der Biopsie nachweisen. Allerdings waren die Tumoren nur in einem Drittel dieser Fälle weiter behandlungsbedürftig. Um die Kontinenz und Potenz der Männer war es nach der Behandlung allerdings noch genauso gut bestellt wie zuvor (100 und 95 Prozent). „Die Behandlung ist gut verträglich“, sagt Urologe Egner.

Die Fachgesellschaften empfehlen die IRE derzeit in ihren Leitlinien für Prostatakrebs nicht. Erst müssten Ergebnisse aus größeren, qualitativ hochwertigen klinischen Studien vorliegen, so die Autoren.

 

Was kostet die irreversible Elektroporation?

Die IRE ist in Deutschland keine Standardtherapie – wie zum Beispiel die Operation oder Strahlentherapie – und deshalb auch keine normale Leistung der gesetzlichen und privaten Krankenkassen. Männer mit Prostatakrebs müssen in der Regel für die Kosten selbst aufkommen. Und das kann teuer werden. Egner weiß: „Bis zu 20.000 Euro müssen sie für die irreversible Elektroporation bezahlen“. Das dürfte für die meisten Männer nicht gerade ein Pappenstil sein.

Besprechen Sie deshalb unbedingt vor Beginne der IRE, ob Ihre Krankenkasse die Kosten ganz oder teilweise übernimmt. Sonst bleiben Sie womöglich auf der Rechnung der Klinik selbst sitzen. Einige spezialisierte Privatkliniken in Deutschland bieten die irreversible Elektroporation an. Anders in den USA: Hier setzen Ärzte die irreversible Elektroporation schon bei vielen Krebsarten ein. Die Methode ist von der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA zugelassen.

 

Fokale Therapien bei Prostatakrebs – die Idee dahinter

Ziel aller fokalen Behandlungen bei Prostatakrebs ist es, den Tumorherd in der Prostata gezielt zu beseitigen, das Organ zu erhalten und die Nebenwirkungen zu reduzieren. Und diese können für Männer bei einer radikale Prostatektomie oder Strahlentherapie sehr gravierend ausfallen. Eine (vorübergehende) Inkontinenz und Erektile Dysfunktion sind oft die Folgen. Die aktive Überwachung ist zwar schonender, birgt aber das Risiko, dass der Prostatakrebs fortschreitet. So könnten die fokalen Therapien eine Brücke sein zwischen aktiver Überwachung sowie Operation und Bestrahlung. Im besten Fall können sich Männer eine aggressivere Therapie ihres Prostatakrebs mit den jeweiligen Risiken ersparen.

Als Hindernis für den Einsatz der fokalen Therapien galt es lange Zeit, dass Prostatakrebs in 50 bis 80 Prozent mehrere Tumoren in der Prostata bildet. „Häufig haben Männer mehrere Krebsherde, und zwar gleich auf beiden Lappen der Prostata“, erklärt Dr. Frank Schiefelbein, Urologe an der Würzburger Missioklinik. Dazu kommt, dass diese Tumoren oft auch noch unterschiedlich aggressiv sind. So erschien es wenig sinnvoll, einen einzelnen Herd mit Kälte, Wärme oder Strom zu traktieren, während die anderen weiterwachsen.

Heute gehen Ärzte jedoch von einer anderen Hypothese aus: Nur ein einziger Tumorherd hat das Potenzial, Metastasen zu bilden – nämlich der größte und aggressivste mit dem höchsten Gleason-Score. Und genau diesen behandeln Ärzte gezielt. „Die aggressiven Herde bestimmen die Zukunft des Patienten“, betont Schiefelbein. Alle kleineren Herde mit geringerem Gleason-Score beeinflussen dagegen den Krankheitsverlauf nicht.

Die HIFU und Brachytherapie sind fokale Therapien bei Prostatakrebs, deren Wirksamkeit heute schon gut belegt ist. Dieser Nachweis steht für die irreversible Elektroporation noch aus.

 

Quellen