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Prostatakrebs: Sexualfunktion hat oft Priorität

24. April 2018 | von Ingrid Müller

Manche Behandlungen von Prostatakrebs lassen die Sexualfunktion leiden. Vielen Männern ist es aber wichtig, weiterhin Sex zu haben wie zuvor. Doch oft entscheiden sie sich für weniger schonenende Krebstherapien - aus Unwissen? 

Einige Behandlungen bei Prostatakrebs lassen die männliche Sexualfunktion leiden – oft droht eine Erektile Dysfunktion. Solche Therapien, die sich auf die Potenz auswirken, sind zum Beispiel die Prostata-OpStrahlentherapieoder Hormontherapie. Doch die Sexualfunktion zu erhalten, hat bei einem Großteil der Männer eine sehr hohe Priorität. Allerdings spiegelt sich diese Präferenz nicht immer in der Wahl der Prostatakrebs-Behandlung wider. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des University of North Carolina Lineberger Comprehensive Cancer Center. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher um Ronald C. Chen im Fachmagazin Journal of the National Cancer Institute (JNCI).

 

Wie wichtig ist Männern der Erhalt der Sexualfunktion bei Prostatakrebs?

Sie hatten rund 1.200 Männer befragt, die an einem wenig aggressiven Prostatakrebs im Frühstadium erkrankt waren. Die Daten zur GrößeAggressivität und Wachstumsgeschwindigkeit der Prostatatumoren hatten sie den Patientenakten entnommen. Die Männer sollten Aussagen darüber machen, wie wichtig ihnen der Erhalt der Sexualfunktion war. Die Skala reichte von „sehr wichtig“, „weniger wichtig“ bis hin zu „unwichtig“.

Mehr als die Hälfte der Männer (52.6 Prozent) gaben an, der Erhalt der Sexualfunktion sei ihnen „sehr wichtig“. Bei älteren Männern war dieser Wunsch weniger stark ausgeprägt als bei jüngeren. Diese Priorität der Männer zum Erhalt der Sexualfunktion spiegelte sich jedoch nicht in der Wahl ihrer Therapiestrategie wider. Sie entschieden sich nicht für jene Behandlung, welche die Sexualfunktion am wirkungsvollsten schützt und erhält. „Leider wählten diese Männer nicht vorrangig die Möglichkeit der aktiven Überwachung“, sagt der Studienleiter Ronald C. Chen vom Institut für Radioonkologie.

 

Schutz der Sexualfunktion: Aktive Überwachung ist vielen Männern unbekannt

Nur bei 43,4 Prozent der Männer sahen Ärzte regelmäßig nach, wie sich der Prostatakrebs verhielt. Die Männer hatten die schonende Therapiestrategie also nicht häufiger ausgesucht als Männer, denen der Erhalt der Sexualfunktion weniger wichtig war. „Es gibt ein Missverhältnis zwischen den erklärten Prioritäten der Männer und der Therapie, die sie schließlich erhalten“, erklärt Chen.

Bei aktiven Überwachung (engl. active surveillance) verzichten Männer zunächst auf eine Behandlung ihres Prostatakrebses. Dafür kontrollieren Ärzte den bösartigen Tumor in bestimmten, genau abgesteckten Zeitintervallen. Das aktive Überwachen ist also nicht mit „Nichtstun“ gleichzusetzen. Denn der Arzt handelt sofort, wenn der Prostatakrebs voranschreitet. Eine Heilung ist daher jederzeit möglich. „Unsere Studienergebnisse lassen vermuten, dass viele Männer die aktive Überwachung als Behandlungsmöglichkeit bei frühem Prostatakrebs gar nicht kennen“, sagt Chen.

 

Sexualfunktion erhalten für mehr Lebensqualität

Männer mit wenig aggressivem Prostatakrebs haben viele verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die ungefähr gleich gut wirksam sind, aber die Lebensqualität unterschiedlich stark beeinflussen. Dazu gehören die Operation, unterschiedliche Formen der Bestrahlung (Strahlentherapie von innen und außen) und die aktive Überwachung. Einige Krebstherapien sind mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden, einschließlich Störungen der Sexualfunktion. Die aktive Überwachung des Prostatakrebses ist eine gute Strategie, um die sexuelle Funktion bei Prostatakrebs zu schützen und damit auch die Lebensqualität zu verbessern.

Für Patienten mit Prostatakrebs bedeuteten die Studienerbnisse, dass sie grundsätzlich zwei Fragen stellen sollten, erklärt Chen. „Die erste: Wie aggressiv ist mein Krebs? Die zweite: Welche Behandlungsmöglichkeiten habe ich?“ Anschließend sollten Männer immer mit ihren behandelnden Ärzten diskutieren, wo genau ihrer Prioritäten liegen. Jeder Arzt sollte seinen Patienten dazu ermuntern, seinen Vorlieben genau zu reflektieren. „Erst dann sollten sich ein Mann zwischen allen verfügbaren Optionen entscheiden“, rät er.

 

Aktive Überwachung ist eine sichere Behandlungsmöglichkeit

Einige Patienten wünschen sich nach der Schockdiagnose Prostatakrebs eine aggressive Krebsbehandlung, um den Krebs in möglichst umfassend und schnell zu bekämpfen. Doch Prostatakrebs ist nicht gleich Prostatakrebs. Viele dieser Tumoren in der Prostata wachsen sehr langsam und sind wenig aggressiv. Zu Lebzeiten verursachen diese Varianten des Prostatakrebses womöglich kaum gesundheitliche Probleme. „Urologen und Radiologen sollten ihre Patienten umfassend über die langsam wachsende Natur bei wenig aggressivem Prostatakrebs informieren. Und sie sollten ihnen sagen, dass die aktive Überwachung eine sichere Behandlungsmöglichkeit ist“, betont Chen.

 

Aktive Überwachung ist nicht gleich „beobachtendes Abwarten“

Manche Männer setzen die beiden Therapiestrategien „aktive Überwachung“ (active surveillance) und beobachtendes Abwarten („watchful waiting“) gleich. Doch es ist nicht dasselbe! Beim watchful waiting kontrollieren Ärzte den Prostatakrebs nicht regelmäßig. Erst bei Beschwerden sucht der Mann den Arzt auf, der dann nur die Symptome behandelt. Ein wesentlicher Unterschied zu aktiven Überwachung ist, dass eine Heilung beim watchful waiting nicht das Ziel ist. Diese Strategie des Therapieaufschubs eignet sich, wenn die Behandlung stärkere Belastungen bedeuten würde als die Erkrankung selbst verursacht. Sie kommt für Männer in Frage, die voraussichtlich eine Lebenserwartung von weniger als zehn Jahren haben und bei denen eine heilende Behandlung nicht möglich ist.

 

Quellen

  • Chen RC. et al.: „Prostate Cancer Patient Characteristics Associated With a Strong Preference to Preserve Sexual Function and Receipt of Active Surveillance“. Journal of the National Cancer Institute (JNCI), Volume 110, Issue 4, 1 April 2018, Pages 420–425, https://doi.org/10.1093/jnci/djx218
  • Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), www.krebsinformationsdienst.de (Abruf: 24.4.2018)