© Sebastian Kaulitzki/Adobe Stock
Zurück zur Übersicht

Prostatakrebs: Strahlentherapie nach OP unnötig?

27. November 2019 | von Ingrid Müller

Viele Männer erhalten direkt nach der Operation eine Strahlentherapie zur Sicherheit. Doch eine neue Studie zeigt, dass die sofortige Bestrahlung keine Vorteile bringt – und damit überflüssig sein könnte. Abwarten ist womöglich besser.

Die Strahlentherapie ist ein Standard in der Krebsbehandlung, auch bei Männern mit Prostatakrebs. Dabei versuchen Ärzte, eventuell noch verbliebene Krebszellen mittels hochenergetischer Strahlen zu beseitigen; diese schädigen das Erbgut. Krebszellen können diese Schäden weniger gut reparieren und sterben ab. Bei vielen Männern schließt sich die Bestrahlung zeitnah an die Operation an, die radikale Prostatektomie. Doch genauso wie die OP hat die Radiotherapie einige Nebenwirkungen, zum Beispiel eine Inkontinenz. Sie tritt bei vielen Männern im Anschluss auf, wenn auch nur vorübergehend.

Strahlentherapie 

Lesen Sie, wie die Strahlentherapie von außen und wie die Strahlentherapie von innen funktioniert.

Prostata Hilfe Deutschland: Illustrationsbild - Computertomografie
okrasyuk/Fotolia.com

Eine neue Studie fand jetzt heraus, dass sich Männer die Strahlentherapie nach einer Op vielleicht ersparen können – sie profitieren davon nicht. „Die Studie beantwortet eine Frage, die sehr lange im Raum stand: nämlich ob die Vorteile der Radiotherapie nach einer Operation die Nebenwirkungen aufwiegen“, schreiben die Forscher. Die Ergebnisse stellten sie auf dem Kongress der European Society for Medical Oncology (ESMO) 2019 in Barcelona vor.

 

Strahlentherapie: sofort oder erst abwarten?

An der Studie namens „RADICALS-RT“ nahmen 1.396 Männer teil, die sich wegen ihres Prostatakrebses einer radikalen Prostatektomie unterzogen hatten. Die Studie gilt als die größte, die jemals die Effekte der Strahlentherapie nach einer Operation untersucht hat. Die Männer stammten aus Großbritannien, Dänemark, Kanada und Irland.

Die Forscher teilten sie nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen ein: Die einen erhielten im Anschluss an die Op eine Strahlentherapie, während die anderen nur beobachtet wurden. Die Bestrahlung war auch für Männer aus der Gruppe zwei eine Möglichkeit, sollte der Prostatakrebs zurückkehren. Die Forscher verfolgten im Schnitt über fünf Jahre, wie es den Männern gesundheitlich erging.

 

Sofortige Strahlentherapie bringt keine Vorteile

Bei 85 Prozent der Männer, die sich der Bestrahlung unterzogen hatten, kehrte der Krebs nicht wieder zurück. In der Gruppe ohne Radiotherapie waren es sogar noch ein wenig mehr: nämlich 88 Prozent. Es gab also keinen Vorteil der Strahlentherapie, was das Fortschreiten des Prostatakrebses, einen Rückfall und das Überleben anging. Bei der Häufigkeit und Intensität der Nebenwirkungen stellten die Forscher jedoch einige Unterschiede fest:

  • Bei 5,3 Prozent der Männer war die Inkontinenz auch ein Jahr nach der Strahlenbehandlung noch stark ausgeprägt. Dies war nur bei 2,7 Prozent der Männer der Fall, die auf die Strahlen verzichtet hatten.
  • Eine Harnröhrenverengung ließ sich bei acht Prozent der Männer aus der „Strahlengruppe“ nachweisen. In der reinen „Operationsgruppe“ waren es fünf Prozent.

 

Inkontinenz

Erfahren Sie, wie sich die Inkontinenz bei Prostatakrebs wirksam behandeln lässt.

Prostata Hilfe Deutschland: Illustrationsbild Inkontinenz - Wassertropfen
© Quadronet Webdesign/Pixabay.com

Prof. Chris Parker, der Erstautor der Studie vom The Royal Marsden NHS Foundation Trust und vom Institute of Cancer Research, zieht folgendes Fazit: „Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass die Radiotherapie gleich gut wirksam ist – unabhängig davon, ob wir sie allen Männer kurz nach der Operation verabreichen oder sie später nur bei jenen Männern einsetzen, deren Prostatakrebs zurückgekehrt ist.“

Die gute Nachricht sei, dass man vielen Männern auch die Nebenwirkungen der Strahlentherapie ersparen könne, so Parker weiter. Dazu gehörten unter anderem die Inkontinenz und die Harnröhrenverengung, die das Wasserlassen oft enorm erschwert. Beide Komplikationen kommen zwar auch nach einer alleinigen Prostatektomie vor, aber das Risiko ist höher, wenn Männer sich obendrein einer Strahlenbehandlung unterziehen.

"Jetzt gibt es starke Beweise dafür, dass die Beobachtung und das Abwarten das Standardvorgehen nach der Operation sein sollte. Die Bestrahlung sollten wir nur dann einsetzen, wenn der Krebs zurückkommt."

Prof. Chris Parker, The Royal Marsden NHS Foundation Trust

 

Strahlentherapie zukünftig weglassen oder verschieben

Um die Studienergebnisse zu überprüfen, analysierten die Forscher weitere verfügbare Studien zu diesem Thema in einer sogenannten Metaanalyse (ARTISTIC). Sie zogen dafür noch zwei ähnliche Studien namens RAVES und GETUG-AFU17 heran. Insgesamt flossen die Daten von 2.151 Männern in die drei Studien ein. Davon erhielten 1.074 eine Strahlentherapie direkt nach der Op, während 1.077 der Gruppe zugeteilt wurde, die nur bei einem Rückfall eine Bestrahlung erhielt – dies traf auf 395 Männer zu. Die Metaanalyse fand ebenfalls keine Beweise dafür, dass die Strahlentherapie sofort nach der Op das krebsfreie Überleben verbesserte als eine Strahlentherapie nur bei einem Rückfall.

„Die Metaanalyse unterstreicht die Studienerkenntnisse, dass die Beobachtung zukünftig der Standard sein sollte und die Bestrahlung nur bei einem Rückfall in Frage kommt“, sagt Dr. Claire Vale, die Autorin der Metaanalyse vom University College London. Und Dr. Xavier Maldonado vom Hospital Universitari Vall d’Hebron, Barcelona, ergänzt: „Dies sind die ersten Untersuchungsergebnisse, die darauf hindeuten, dass wir die Radiotherapie bei einigen Männern mit Prostatakrebs ganz weglassen oder zeitlich nach hinten schieben können.“ Dies verkürze die Dauer der Behandlung deutlich und spare zudem Kosten im Gesundheitswesen. Die Voraussetzung sei jedoch eine engmaschige Kontrolle. Nur so könnten Ärzte jene Männer identifizieren, die eine Bestrahlung wegen eines Rückfalls bräuchten.

 

Männer über zehn Jahre beobachten

Die Forscher sind sich jedoch einig, dass fünf Jahre als Nachbeobachtungszeitrum nicht ausreichten. Besser sei es, die Freiheit von Metastasen über eine Zeitspanne von zehn Jahren zu überwachen. Zukünftige Studien sollten darauf abzielen, jene Männer zu identifizieren, bei denen die Strahlentherapie eine lokale Rückkehr des Prostatakrebses und eventuelle Metastasen verhindern kann. Dabei könne ein Blick in die Gene helfen. „So können wir die beste Behandlungsstrategie individuell für jeden Mann finden – ob Operation und/oder Bestrahlung – und zu welchem Zeitpunkt“, hofft Maldonado.

Quellen