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Virotherapie: Mit Viren gegen Prostatakrebs

24. April 2019 | von Ingrid Müller

Viren sollen Prostatakrebs zukünftig biologisch bekämpfen. Kieler Forscher schleusen gentechnisch veränderte Lentiviren in Prostatakrebszellen ein und bekämpfen Tumore so von innen heraus. Alle Fakten zur Krebsbehandlung mit Viren.

Viren kennen viele als Krankmacher. Sie können unzählige Infektionskrankheiten wie Grippe, Erkältung, Magen-Darm-Probleme oder Kinderkrankheiten wie Mumps, Masern und Röteln auslösen. Auch mit einigen Krebserkrankungen stehen sie in Verbindung, zum Beispiel mit Gebärmutterhalskrebs (Humane Papillomviren) oder Lymphdrüsenkrebs (Epstein-Barr-Virus). Experten schätzen, dass Viren weltweit für jede sechste Tumorerkrankung verantwortlich sind. Doch womöglich schaden Viren nicht nur, sondern können auch nützlich sein. Wie sich aus dem Feind ein Freund machen lässt und Viren sich gezielt gegen Prostatakrebs lenken lassen, untersuchen jetzt Wissenschaftler der Christian-Albrechts-Universität Kiel in einem neuen Forschungsprojekt.

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Viren mit besonderen Fähigkeiten

Ihre Versuche führen sie mit sogenannten Lentiviren durch, die über eine besondere Eigenschaft verfügen: Sie können ihr eigenes Erbgut in die Erbsubstanz (DNA) einer Wirtszelle einbauen. Lentiviren gehören zu den sogenannten Retroviren. Ihren Namen haben Lentiviren, weil sie langsam fortschreitende, chronisch degenerative Krankheiten auslösen können (lat. lentus = langsam).

Schon vor einiger Zeit hatte das Forscherteam um Prof. Stefan Rose-John vom Institut für Biochemie in den Prostatakrebszellen einen bestimmten Signalweg identifiziert, den gp130 Signalweg. Dieser blockiert das Wachstum des Prostatatumors. Das Problem ist jedoch, dass dieses Signal nicht ständig angeschaltet ist und der Prostatakrebs somit wachsen kann. „Zunächst haben wir ein sogenanntes Designer-Gen erzeugt, das den Signalweg dauerhaft aktiviert“, erklärt Rose-John seinen Forschungsansatz. „Nun wollen wir dieses Designer-Gen in die Krebszelle einschleusen.“

 

Viren funktionieren als „Gen-Taxi“

Für diesen Transport des neu designten Gens in die Krebszellen lassen sich die Lentiviren nutzen. Sie funktionieren als eine Art „Gen-Taxi“ oder „Gen-Fähre“. Rose-John erklärt: „Lentiviren sind Experten darin, sich in einer fremden Zelle einzunisten, diese unter ihre Kontrolle zu bringen und für ihre eigenen Zwecke zu benutzen.“ Das macht sie zu gefährlichen Krankheitserregern. Die Viren programmieren die infizierte Zelle so um, dass sie ein Vermehrungsprogramm startet und massenhaft neue Viren produziert. Dann platzt die zuvor gesunde Zelle schließlich.

Um die Viren gezielt gegen Krebszellen zu richten, müssen die Wissenschaftler sie gentechnisch so verändern, dass sie nicht mehr krank machen. In der Behandlung mit Viren – der onkolytischen Virotherapie – kommen nur harmlose Varianten der Viren zum Einsatz. „Wir bauen die Viren im Labor so um, dass sie keine Krankheiten mehr verursachen können und ausschließlich Prostatakrebszellen befallen. Sie dienen dann einzig und allein dem Einschleusen des nützlichen Gens.“ Die Krebszelle nimmt die Virusteilchen auf. Dann verankern die Viren das mitgebrachte Gen direkt in das Erbgut der Krebszelle. Die Forscher hoffen, dadurch den Signalweg dauerhaft anzuschalten und das Wachstum des Tumors zu stoppen.

Die Deutsche Krebshilfe unterstützt das Projekt finanziell. „In den vergangenen Jahren sind Viren verstärkt in den Fokus der Krebsforschung und ‑therapie gerückt“, erklärt Gerd Nettekoven, Vorstandvorsitzender der Deutschen Krebshilfe. „Innovative Krebsforschung zu fördern, sieht die Deutsche Krebshilfe als eine ihrer vordringlichsten Aufgaben an, um neue und effektivere Behandlungsmöglichkeiten für Betroffene zu entwickeln.“

 

Neue Prostatakrebsbehandlungen im Video

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Viren haben Anti-Krebs-Potenzial

Viren sind aber nicht nur als Transportmittel für Gene einsetzbar, sondern können Krebszellen auch direkt bekämpfen. Sie befallen die Tumorzellen, vermehren sich dort und zerstören sie. Die Idee, Viren im Kampf gegen Krebs einzusetzen, ist nicht ganz neu. 

Schon vor mehr als 100 Jahren beobachteten Forscher, dass zufällige Infektionen mit Viren bösartige Tumore bei Krebspatienten schrumpfen ließen oder sogar ganz zum Verschwinden brachten. Es folgten einige Behandlungsversuche bei Krebspatienten mit Viren, die jedoch viel zu aggressiv und zu starke Krankmacher waren – sie riefen schwere Nebenwirkungen hervor. Die Virotherapie bei Krebs legten Ärzte deshalb auf Eis, aber nur zunächst.

Erst die Entwicklung der Gentechnik vor wenigen Jahrzehnten ermöglichte es den Forschern, die Eigenschaften der Viren maßgeschneidert so zu verändern, dass sie präzise gegen Krebszellen vorgehen, effektiver sind und mehr Sicherheit versprechen. Sie schalten heute gezielt bestimmte Viren-Gene aus und fügen andere dafür ein. Im Blick haben Wissenschaftler heute eine ganze Reihe verschiedenster Viren für die Krebstherapie: Neben den Retroviren sind es Adeno‑, Herpes‑, Masern- und Pockenimpfviren. Manche sind von Natur aus harmlos, andere entschärfen die Forscher weitgehend.

 

Probleme der Virotherapie: Viren sind schlau

Damit die Virotherapie wirkt, müssen Forscher jedoch noch einige Hürden überspringen. Ein Problem sind zum Beispiel schon vorhandene Antikörper (z.B. nach Impfungen in der Kindheit) oder neu produzierte Antikörper und Immunzellen, die sich gegen die Viren richten. Sie eliminieren die Virotherapeutika so frühzeitig, dass sie erst gar nicht wirken können. 

Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass ein Teil des Immunsystems die onkolytischen Viren leicht abfangen kann oder der Körper sie durch Verklumpung unwirksam macht. Dazu kommt, dass Krebszellen raffiniert sind und einige Tricks auf Lager haben, um sich dem Zugriff des Immunsystems zu entziehen. Sie machen sich unsichtbar, indem sie sich eine Art „Tarnkappe“ überstülpen. Das Abwehrsystem übersieht den gefährlichen Feind somit und löst daher auch keine Immunreaktion aus.

 

Viren plus andere Krebsbehandlungen

Bis heute gibt es nicht „das eine“ ideale onkolytische Virus, das Krebszellen sämtlicher Tumorarten direkt oder indirekt bekämpfen kann. Mehr als zehn verschiedene Virusarten befinden sich derzeit in der Entwicklung zu einer Virotherapie, die Ärzte später bei ihren Patienten im klinischen Alltag einsetzen wollen. Am besten untersucht sind Adenoviren, Reoviren, Newcastle Di-seaseViren, Herpes-Simplex-Viren, Vaccinia-Viren und Masern-Impfviren.

Forscher glauben, dass die alleinige Therapie mit gentechnisch veränderten Viren jedoch nicht ausreichen wird, um alle Krebsarten zu behandeln und die schlauen Abwehrstrategien der Tumorzellen zu durchbrechen. Allerdings lässt sich die Virotherapie zukünftig mit etablierten Krebsbehandlungen kombinieren:  ChemotherapieBestrahlung oder Immuntherapien mit Antikörpern. Damit wären die Viren ein weiteres Standbein in der Krebstherapie.

Quellen: