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Prostatakrebs: Neue Behandlung überlistet Krebszellen

08. Juli 2020 | von Ingrid Müller

Gängige Behandlungen wie die Hormon- oder Chemotherapie bei Prostatakrebs büßen manchmal ihre Wirksamkeit ein. Denn Krebszellen sind schlau und können sich der Attacke entziehen. Ein neuer Therapieansatz soll sie jetzt gezielt zur Strecke bringen. 

Prostatakrebszellen haben einige Schachzüge auf Lager, um sich gegen Behandlungen wie einen Hormonentzug, eine Chemotherapie oder Bestrahlung zu wappnen. Diese Krebstherapien erzeugen normalerweise Stress in den Krebszellen und setzen den programmierten Zelltod in Gang, die sogenannte Apoptose. Die bösartigen Tumorzellen haben keine Überlebenschance mehr und sterben ab. Der Körper beseitigt die lädierten Zellen schließlich im Rahmen seines Stoffwechsels.

Vor ihrem sicheren Untergang können sich Prostatakrebszellen jedoch schützen. Sie produzieren zum Beispiel bestimmte Eiweiße, um dem Zelltod zu entkommen. Diese sogenannten anti-apoptotischen Proteine blockieren Teile jenes Signalwegs, der für Ablauf des programmierten Zelltodes wichtig ist. Die Tumorzellen werden unempfindlich (resistent), die Krebstherapien versagen und der Prostatakrebs schreitet weiter voran.

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Forscher vom Universitätsklinikum Freiburg entwickelten jetzt eine neue Therapiestrategie, um die Tumorzellen doch noch zu erledigen: Sie verminderten die Herstellung dieser anti-apoptotischen Proteine gezielt und lösten so den programmierten Zelltod der Tumorzellen aus – allerdings bisher nur im Tierversuch. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in der Juniausgabe des Fachblatt Cancers.

 

Prostatakrebszellen gezielt ausschalten

Wissenschaftler hatten in früheren Studien schon verschiedene Hemmstoffe getestet, welche die anti-apoptotischen Proteine binden und somit inaktivieren können. Ein Beispiel sind Substanzen namens BH3-Mimetika. Allerdings zeigten sie keine ausreichende Wirkung. Sie waren entweder nicht in der Lage, sämtliche Arten dieser anti-apoptotischen Eiweiße zu blockieren, oder sie hefteten sich so ungezielt und wahllos an andere Proteine, dass unerwünschte Nebenwirkungen einsetzten.

Die Forscher um Prof. Philipp Wolf von der Klinik für Urologie des Universitätsklinikum Freiburg überlegten sich daher eine andere Behandlungsstrategie. Ziel war es, die Proteine vollständig außer Gefecht zu setzen und ausschließlich die Prostatakrebszellen anzugreifen.

 

Immuntoxin – Angriff auf die Prostatakrebszellen

Zunächst stellten sie im Labor ein künstliches Eiweiß her, ein sogenanntes Immuntoxin. Dies ist eine Kombination aus einer zellbindenden Komponente und einem Gift. Das Freiburger Immuntoxin besitzt zwei Abschnitte: Der erste Teil ist das Bruchstück eines Abwehrstoffs (Antikörper), welches an das prostataspezifische Membranantigen (PSMA) auf der Oberfläche von Prostatakrebszellen andockt. Auf diese Weise gelangt das Immuntoxin in die Krebszelle. PSMA kommt in geringen Mengen auf gesunden Prostatazellen und in großer Anzahl auf Prostatakrebszellen vor. Je aggressiver der Prostatakrebs ist, desto mehr PSMA ist auf den Krebszellen vorhanden.

Als zweiten Teil des Proteins wählten die Wissenschaftler ein Gift, das aus dem Bakterium Pseudomonas aeruginosa stammt. Dieses hemmt den Aufbau von Eiweißen in den Zellen, die Proteinbiosynthese.

PSMA

Lesen Sie, was PSMA ist und wie es in der Diagnostik und Behandlung hilft. Außerdem: In welchen Fällen ein PSMA-PET/CT jetzt Kassenleistung ist.

 

PSMA auf Prostatakrebszellen – Eintrittspforte fürs Gift

In der Krebszelle werden das Gift und der Antikörper voneinander abgespalten. Dann wandert das Gift – getarnt als zelleigenes Protein – zu besonderen Bereichen in der Zelle, den Ribosomen. Diese winzigen Körnchen arbeiten als eine Art „Schaltzentrale“ beim Aufbau von Eiweißen in der Zelle. Im Tierversuch brachte das Immuntoxin den Prozess der Eiweißherstellung mit kurzer Halbwertszeit innerhalb von 48 Stunden komplett zum Erliegen. Diese baut der Körper innerhalb relativ kurzer Zeit ab. Zellen, die kein PSMA auf ihrer Oberfläche tragen, nahmen keinen Schaden durch das Immuntoxin.

Dann nahmen die Forscher anti-apoptotische Proteine ins Visier, die länger im Körper überdauern und nicht gleich abgebaut werden. Sie kombinierten das Immuntoxin mit einer weiteren Substanz – dem BH3-Mimetikum ABT-737. Dieses blockiert anti-apoptotische Proteine mit einer längeren Halbwertszeit.

 

Prostatakrebszellen: Menge um rund 80 Prozent geschrumpft

Durch die Kombination beider Substanzen konnten die Forscher einen Signalweg für den programmierten Zelltod aktivieren, der bei unterschiedlichen Tumorzellstadien beim fortgeschrittenen Prostatakrebs eine Rolle spielt. Die Anzahl lebender Prostatakrebszellen war nach zwei Tagen um bis zu 80 Prozent geschrumpft. Außerdem wuchs der bösartige Prostatatumor in den Mäusen deutlich langsamer und sie lebten fast doppelt so lang.

„Die Kombination aus anti-PSMA-Immuntoxin und BH3-Mimetikum ABT-737 stellt den ersten Therapieansatz beim Prostatakarzinom dar, der tumorspezifisch auf Ebene der anti-apoptotischen Proteine wirkt“, schreiben die Forscher. Jetzt wollen sie die Behandlung weiterentwickeln und in neuen Studien testen. Die Forscher hoffen, dass Männer mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom bald von ihm profitieren könnten.

Für das Projekt erhielt Philipp Wolf den 2. Preis des Clinical Science Award der Deutschen Gesellschaft für Immun- und Targeted Therapie (DGFIT) 2018.

Quelle

  • Masilamani, A.P.; Dettmer-Monaco, V.; Monaco, G.; Cathomen, T.; Kuckuck, I.; Schultze-Seemann, S.; Huber, N.; Wolf, P. An Anti-PSMA Immunotoxin Reduces Mcl‑1 and Bcl2A1 and Specifically Induces in Combination with the BAD-Like BH3 Mimetic ABT-737 Apoptosis in Prostate Cancer Cells. Cancers 2020, 12, 1648. https://www.mdpi.com/2072–6694/12/6/1648