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Prostatakrebs – innere Uhr als Mitspieler?

21. Januar 2021 | von Ingrid Müller

Die inne­re Uhr könn­te bei Pro­sta­ta­krebs eine uner­war­te­te Rol­le spie­len. Das „Uhr­werk-Gen“ namens Cry1 greift in Repa­ra­tur­pro­zes­se des Erb­gu­tes ein. So ent­fal­tet es womög­lich einen Schutz­ef­fekt für die Krebs­zel­len, ergab eine neue US-Stu­die.

Die inne­re Uhr eines Men­schen ist ein wich­ti­ger Takt­ge­ber für den Kör­per. Sie syn­chro­ni­siert sämt­li­che Vor­gän­ge mit den natür­li­chen Hell- und Dun­kel­pha­sen und steu­ert den Schlaf-Wach-Rhyth­mus. Die inne­re Uhr lässt zum Bei­spiel nachts den Blut­druck sin­ken, sorgt für eine fla­che­re Atmung und gibt den Start­schuss für ver­schie­dens­te Repa­ra­tur­vor­gän­ge und Erho­lungs­pro­zes­se.

Doch die Bio-Uhr kann durch­ein­an­der gera­ten, etwa bei Schlaf­man­gel, Jet­lag oder Schicht­ar­beit, beson­ders bei Wech­sel­schich­ten oder län­ger­fris­ti­ger Nacht­ar­beit. Und dies kann sich schäd­lich auf die Gesund­heit aus­wir­ken. Ein aus dem Takt gera­te­nes Uhr­werk kann ein höhe­res Risi­ko für Dia­be­tes, Herz-Kreis­lauf-Erkran­kun­gen und hor­mon­ab­hän­gi­ge Krebs­ar­ten mit sich brin­gen – zum Bei­spiel für Brust­krebs, aber auch Pro­sta­ta­krebs.

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Innere Uhr – welche Rolle spielt sie bei Prostatakrebs?

Schon län­ger neh­men Wis­sen­schaft­ler an, dass zir­ka­dia­ne Gene, die den Schlaf-Wach-Rhyth­mus und die Akti­vi­tät wei­te­rer Gene steu­ern, an der Ent­wick­lung von hor­mon­ab­hän­gi­gem Pro­sta­ta­krebs betei­ligt sein könn­ten. Bekannt sind eine Rei­he sol­cher „Uhr-Gene“. Sie haben Kür­zel wie Clock, Per1, Per2, Per3, Cry1 und Cry2.

Das Bio­uhr-Gen namens „Cry1“ nah­men For­scher der Tho­mas Jef­fer­son Uni­ver­si­ty jetzt in einer neu­en Stu­die genau­er unter die Lupe. Es steu­ert die Her­stel­lung eine Eiwei­ßes namens Cryp­to­chrom 1. Bei Män­nern mit Pro­sta­ta­krebs, so das Ergeb­nis, könn­te es womög­lich das Fort­schrei­ten des Tumors begüns­ti­gen. Dies gesche­he, indem Cry1 die Repa­ra­tur­me­cha­nis­men des Erb­guts (DNA) von Krebs­zel­len ver­än­de­re. Von ihren Ergeb­nis­sen berich­ten die US-Wis­sen­schaft­ler in der Janu­ar­aus­ga­be des renom­mier­ten Fach­ma­ga­zin Natu­re Com­mu­ni­ca­ti­ons.

"Als wir die Daten der Krebs­pa­ti­en­ten ana­ly­sier­ten, konn­ten wir nach­wei­sen, dass die Men­ge des zir­ka­dia­nen Fak­tors Cry1 bei fort­ge­schrit­te­nem Pro­sta­ta­krebs ange­stie­gen war – und das war eng mit einer ungüns­ti­ge­ren Pro­gno­se ver­bun­den.

Karen Knud­sen, Seni­or­au­torin der Stu­die vom Sid­ney Kim­mel Can­cer – Jef­fer­son Health (SKCC)

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„Uhr-Gen“ Cry1 und Prostatakrebs hängen offenbar zusammen

Wie aber könn­te das „Uhr-Gen“ Cry1 eine Krebs­er­kran­kung genau beein­flus­sen? Eine Ant­wort liegt viel­leicht dar­in, dass der Andro­gen­re­zep­tor – die Andock­stel­le für männ­li­che Geschlechts­hor­mo­ne – das Cry1 im Pro­sta­ta­krebs­ge­we­be akti­viert, wie das US-ame­ri­ka­ni­sche und euro­päi­sche For­scher­team nach­wies. So erklär­ten sich auch zum Teil die hohen Kon­zen­tra­tio­nen an Cry1 im mensch­li­chen Gewe­be.

„Das war ein kla­rer Hin­weis für uns, dass Cry1 mit Pro­sta­ta­krebs zusam­men­hängt“, erklärt Aye­sha Shafi, die Erst­au­torin der Stu­die. „Die Tat­sa­che, dass das Cry1 bei fort­ge­schrit­te­nem Pro­sta­ta­krebs erhöht ist, könn­te auch der Grund sein, war­um Hor­mon­the­ra­pien in spä­te­ren Krebs­sta­di­en unwirk­sam wer­den“, so Shafi wei­ter. Der Pro­sta­ta­krebs wird dann „kas­tra­ti­ons­re­sis­tent“.

Die Hor­mon­the­ra­pie ist eine gän­gi­ge Behand­lung bei Pro­sta­ta­krebs, die mit Hil­fe zwei­er Wirk­prin­zi­pi­en arbei­tet: Die Medi­ka­men­te unter­drü­cken ent­we­der die Pro­duk­ti­on des Tes­to­ste­rons oder machen das Hor­mon unwirk­sam, in dem sie sei­ne Andock­stel­len (Andro­gen­re­zep­to­ren) an den Tumor­zel­len blo­ckie­ren. Krebs­zel­len brau­chen das Tes­to­ste­ron jedoch als „Treib­stoff“, um zu wach­sen und sich zu ver­meh­ren. Ein Hor­mon­ent­zug oder die Blo­cka­de des Hor­mon­re­zep­tors hun­gert die Pro­sta­ta­krebs­zel­len aus, jeden­falls eine Zeit lang. Denn irgend­wann ver­meh­ren sich die Tumor­zel­len meist auch ohne Tes­to­ste­ron.

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Molekulares Uhrwerk: Cry1 könnte Schutzeffekt für Krebszellen bewirken

Dann führ­ten die For­scher ver­schie­de­ne Tests durch, um die Betei­li­gung des Cry1 bei der DNA-Repa­ra­tur zu unter­su­chen. Sie arbei­te­ten mit gezüch­te­ten Krebs­zel­len im Labor, Tie­ren sowie mensch­li­chem Pro­sta­ta­krebs­ge­we­be. Sie schä­dig­ten die  Krebs­zel­len gezielt mit Hil­fe einer Bestrah­lung.

Nach der Strah­len­at­ta­cke war die Kon­zen­tra­ti­on des Cry1 gestie­gen. Dies wer­te­ten die For­scher als Hin­weis dar­auf, dass die Zel­len auf die­se Art der Schä­di­gung tat­säch­lich reagier­ten. Dar­über hin­aus beein­fluss­te Cry1 die Ver­füg­bar­keit von Fak­to­ren, die für die Repa­ra­tur­pro­zes­se des Erb­gu­tes not­wen­dig sind. Und es ver­än­der­te die Werk­zeu­ge und Mit­tel, mit denen Krebs­zel­len gegen die Erb­gut­schä­den vor­ge­hen.

Die Ergeb­nis­se las­sen ver­mu­ten, dass Cry1 einen Schutz­ef­fekt bei Krebs­the­ra­pien ent­fal­tet, die eigent­lich auf die Zer­stö­rung der Krebs­zel­len aus­ge­rich­tet sind. „Der zir­ka­dia­ne Fak­tor ver­än­dert die Art und Wei­se, wie Krebs­zel­len ihr Erb­gut repa­rie­ren“, sagt Shafi. 
Die­se Rol­le des Cry1 sei uner­war­tet gewe­sen. „Wir kön­nen dar­aus schlie­ßen, dass bei Tumo­ren mit hohen Spie­geln an Cry1 auch jene The­ra­pien unwirk­sa­mer wer­den, die sich gegen die DNA-Repa­ra­tur rich­ten.“

Und das könn­te das könn­te ein zusätz­li­ches Pro­blem sein. Denn vie­le Krebs­the­ra­pien wie die Bestrah­lung zie­len dar­auf ab, in die Repa­ra­tur­me­cha­nis­men des Erb­guts ein­zu­grei­fen, die DNA zu schä­di­gen und so die Krebs­zel­len abster­ben zu las­sen.

 

Behandlung bei Prostatakrebs: Cry1 als neues Ziel

Karen Knud­sen meint: „Wir haben nicht nur eine mög­li­che Funk­ti­on des Cry1 außer­halb sei­ner Kern­auf­ga­ben gefun­den. Viel­mehr lie­fern unse­re Ergeb­nis­se erst­mal Hin­wei­se dar­auf, wie Cry1 zur Ent­wick­lung von aggres­si­vem Pro­sta­ta­krebs bei­tra­gen könn­te.“ Somit sei­en die tumor­för­dern­den Eigen­schaf­ten von Cry1 viel­leicht zukünf­tig ein gutes Ziel bei der Behand­lung von Pro­sta­ta­krebs. Dar­an wer­de nun wei­ter geforscht.

Die Wis­sen­schaft­ler wol­len her­aus­fin­den, wie sie Cry1 am bes­ten außer Gefecht set­zen kön­nen. Inter­es­sant ist zudem, wel­che der­zeit ein­ge­setz­ten Krebs­the­ra­pien even­tu­ell als zusätz­li­che „Mit­spie­ler“ wir­ken und die DNA-Repa­ra­tur in Pro­sta­ta­krebs­zel­len ver­hin­dern. Auch wol­len sie sämt­li­che Gene, die an der Steue­rung der inne­ren Uhr betei­ligt sind, genau­er unter­su­chen.

 

Krebstherapie – Medikamente nach der inneren Uhr

Even­tu­ell las­sen sich auch posi­ti­ve Wir­kun­gen erzie­len, wenn Ärz­te Krebs­the­ra­pie nach der indi­vi­du­el­len inne­ren Uhr eines Krebs­pa­ti­en­ten ver­ab­rei­chen. Viel­leicht lie­ßen sich so die Neben­wir­kun­gen ver­rin­gern und das Medi­ka­ment wäre bes­ser ver­träg­lich. Auch die Wirk­sam­keit könn­te sich womög­lich ver­bes­sern, weil höhe­re Dosie­run­gen mög­lich wären.

„Dass eine Stö­rung der bio­lo­gi­schen Uhr die Wirk­sam­keit von Krebs­the­ra­pien beein­flus­sen kann, legen ver­schie­de­ne Stu­di­en nahe“, weiß Knud­sen. „Es könn­te posi­ti­ve Effek­te haben, wenn Ärz­te die Behand­lung im Ein­klang mit der natür­li­chen kör­per­li­chen Rhyth­men oder zu bestimm­ten Tages­zei­ten ver­ab­rei­chen“. Aus den wis­sen­schaft­li­chen Unter­su­chun­gen las­sen sich aber noch kei­ne ver­läss­li­chen Aus­sa­gen über die Chro­no­the­ra­pie ablei­ten, denn die Ergeb­nis­se sind bis­her nicht ein­heit­lich.

Ihre Stu­die habe jeden­falls vie­le wich­ti­ge For­schungs­fra­gen auf­ge­wor­fen. Jetzt gel­te es, neue Ant­wor­ten fin­den, wie genau die inne­re Uhr und Pro­sta­ta­krebs zusam­men­hän­gen.

Quellen: