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Prostatakrebsfrüherkennung - keine Tastuntersuchung mehr

30. April 2025 | von Ingrid Müller

Die Tastuntersuchung ist nicht mehr zur Früherkennung von Prostatakrebs empfohlen und steht vor dem Aus. Lesen Sie, welche Strategien die neue Leitlinie jetzt stattdessen vorschlägt.

Die Tastuntersuchung (digitale-rektale Untersuchung, DRU) war bisher ein wichtiger Teil der Früherkennung von Prostatakrebs. Nur für diese Untersuchung mit dem Finger erstatteten die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten einmal pro Jahr für Männer ab dem 45. Lebensjahr. Bei einer DRU tasten Ärztinnen und Ärzte vom Enddarm aus die Prostata mit dem Finger ab, um Veränderungen aufzuspüren. 

Doch die Tastuntersuchung steht schon länger in der Kritik. Sie sei viel zu ungenau und nicht in der Lage, Prostatakrebs zuverlässig zu diagnostizieren. Ihre Aussagekraft sei nicht sonderlich beeindruckend. Dem PSA-Test ist das Abtasten der Prostata deutlich unterlegen, wie eine große Studie (sogenannte PROBASE-Studie) gezeigt hatte. Nur ungefähr 14 Prozent der Prostatatumoren, die mittels PSA-Test gefunden wurden, ließen sich auch mit Hilfe der DRU ertasten. 

„Die Tastuntersuchung führt sowohl zu inakzeptabel vielen falsch-negativen Befunden als auch zu inakzeptabel vielen falsch-positiven Befunden“, schreibt die neue Leitlinie zum Prostatakarzinom.  Das heißt: Es werden Prostatakarzinome „übersehen“ oder die DRU schlägt „falschen“ Alarm. Nach weiteren Untersuchungen stellt sich dann heraus, dass überhaupt kein Prostatakrebs vorliegt. 

Kein Abtasten der Prostata mehr

Die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) hat jetzt gemeinsam mit vielen anderen Fachgesellschaften und Institutionen eine aktualisierte Version der Leitlinie zum „Prostatakarzinom“ veröffentlicht. Die Autorinnen und Autoren schreiben dort: „Zur Früherkennung von Prostatakarzinom soll keine digital-rektale Untersuchung mehr erfolgen." Somit soll die bei Männern unbeliebte und oft nicht wahrgenommene Tastuntersuchung zukünftig kein Teil der Früherkennung mehr sein. 

Der Anlass dafür ist auch eine neue Empfehlung der Europäischen Kommission. Sie forderte bereits im Jahr 2022, dass das Screening-Programm zur Früherkennung von Prostatakrebs in Deutschland verbessert werden müsse. „Leider sind wir hierzulande bei der Früherkennung auf dem Stand von 1971. Sie beruht alleine auf dem Tastbefund der Prostata“, erklärte der Urologe Dr. Frank Schiefelbein in einem Interview mit der Prostata Hilfe e.V.

Stattdessen empfiehlt die aktualisierte Leitlinie jetzt:

  • Ärztinnen und Ärzte sollten Männer ergebnisoffen über die Vor- und Nachteile der Früherkennung von Prostatakrebs beraten.
  • Männern ab 45 Jahren mit einer mutmaßlichen Lebenserwartung von zehn Jahren und mehr, die sich für die  Früherkennung entschieden haben, sollten sie die Bestimmung des PSA-Werts anbieten.

 

Je nach Höhe des PSA-Wertes erfolgt dann eine risikoangepasste Früherkennungsstrategie. Die Kontrollintervalle und das weitere Vorgehen hängen davon ab, wie hoch der PSA-Wert und das persönliche Risiko für Prostatakrebs sind. Die folgende Tabelle zeigt eine Zusammenfassung:

PSA-WertRisikoKontrolle
PSA ≤1,5 ng/ml  niedrig alle fünf Jahre
PSA 1,5–2,99 ng/ml  mittel alle zwei Jahre
PSA ≥3 ng/ml (kontrolliert)  hochKontrolle innerhalb von drei Monaten und weitere Einflussfaktoren berücksichtigen - dann weitere Diagnostik

Die weitere Diagnostik bei einem PSA-Wert ≥3 ng/ml umfasst zunächst den Besuch bei einer Urologin oder einem Urologen. Bestätigt sich das Risiko für Prostatakrebs, sollte sich eine Magnetresonanztomografie (MRT) der Prostata anschließen. 

Erblicher Prostatakrebs und genetische Veränderungen

Die Leitlinie gibt außerdem Empfehlungen für Männer mit einem familiären Risiko für Prostatakrebs sowie für Träger einer krankheitsauslösenden Genvariante. Ein Beispiel dafür ist ein verändertes (mutiertes) BRCA2. Dabei handelt es sich eigentlich um ein „Brustkrebsgen“ (engl. Breast Cancer), das bei Frauen mit der Entwicklung von Brust- und Eierstockkrebs in Verbindung steht. Bei Männern kann ein mutiertes BRCA2 mit Prostatakrebs verknüpft sein.

  • Ärztinnen und Ärzte sollten Männern mit einer familiären Belastung (≥ ein Verwandter ersten Grades wie Vater oder Bruder) ein PSA-basiertes Screening ab dem 45. Lebensjahr anbieten.
  • Männer mit einer krankheitsauslösenden Variante in den Genen BRCA2, MSH2 oder MSH6 sollten sich ab einem Alter von 40 Jahren im Rahmen einer Risikosprechstunde beraten lassen.  Bei einer krankheitsauslösenden Variante in den genannten Genen sollten Ärztinnen und Ärzte den PSA-Wert bestimmen und eine MRT durchführen. 
  • Bei einer krankheitsauslösende Variante und der Einstufung  PI-RADS 3 bis 5 in der MRT (PIRADS = Klassifikationssystem für die Wahrscheinlichkeit von Prostatakrebs) und/oder einem PSA-Wert von ≥3 ng/ml ist eine MRT-Ultraschall-Fusionsbiopsie der Prostata empfohlen.

 

Vor- und Nachteile des PSA-Screening

Ein Screening (eine Reihenuntersuchung an gesunden Männern ohne Prostatakrebssymptome), das auf dem PSA-Wert basiert, hat verschiedene Vor- und Nachteile – eine Übersicht.

Vorteile 

  • Reduziert die Sterblichkeit am Prostatakarzinom beziehungsweise der Metastasierung: Von 1.000 Männern, die am PSA-Screening teilnehmen,  sterben etwa drei Männer nicht am Prostatakarzinom und ungefähr vier Männer entwickeln keine Metastasen.
  • Vermindert Anzahl der Früherkennungsuntersuchungen durch die Ermittlung des Basis-PSA-Wertes im Alter von 45 Jahren: Neun von zehn Männer haben im Alter von 45 Jahren einen Basis-PSA- Wert von <1,5 ng/ml. Sie brauchen dann für fünf Jahre keinen weiteren Test.

 

Nachteile

Manche  früh erkannten Prostatatumore sind nicht lebensbedrohlich und wären einem Mann zu Lebzeiten wahrscheinlich nicht gefährlich geworden. Man spricht von einer „Überdiagnose“, auf die wiederum eine „Übertherapie“ folgen kann. Männer erhalten eine Behandlung wie eine Operation oder Strahlentherapie, die sie vermutlich nicht gebraucht hätten. Eine Prostatakrebs-Diagnose kann Männer außerdem psychisch belasten und das Wohlbefinden und die Lebensqualität vermindern.

Nachteile eines PSA-Screenings sind:

  • Überdiagnosen bei etwa 14 Männern, um einen Todesfall zu vermeiden. 
  • Gefahr der Übertherapie, wenn Prostatatumore operiert oder bestrahlt werden, die nicht lebensbedrohlich sind.
  • Unnötige Diagnostik bei erhöhten Basis-PSA-Werten, ohne dass ein Tumor gefunden wird (falsch-positiver Befund).  Drei von zehn MRT-Aufnahmen zeigen einen unauffälligen Befund. Drei von vier Biopsien bei einem erhöhtem PSA-Wert ergeben keinen Tumor. Eine von vier Biopsien nach einer auffälligen MRT zeigt keinen Tumor.
  • Es besteht eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass sich Männer in einer falschen Sicherheit durch einen unauffälligen Basis-PSA-Wert wiegen. Manchmal ist trotzdem ein therapiebedürftiger Tumor vorhanden. Der Befund wäre dann „falsch-negativ“. 
  • Häufige Wiederholung von PSA-Tests bei einem von zehn Männern mit einem Basis-PSA-Wert von 1,5 bis 3 ng/ml (alle zwei Jahre)
  • In seltenen Fällen führt die Biopsie zu behandlungsbedürftigen Infektionen.

 

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) muss als Gremium jetzt entscheiden, ob der PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen wird. im Moment müssen Männern den PSA-Test noch selbst bezahlen.