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Erektile Dysfunktion nach Prostata-Op - beschädigte Nerven reparieren

01. Juli 2021 | von Ingrid Müller

Die radikale Prostatektomie schädigt oft jene Nerven, die für eine Erektion wichtig sind. US-Forschende entwickelten jetzt ein Medikament, mit dem sich die defekten Nerven womöglich regenerieren lassen. Getestet wurde es bislang aber nur im Tierversuch.

Viele Männer mit einem örtlich begrenzten Prostatakrebs unterziehen sich einer Operation, um den bösartigen Tumor loszuwerden, einer radikalen Prostatektomie. Dieser chirurgische Eingriff ist selbst für erfahrene Ärzte und trotz tatkräftiger Unterstützung durch einen Roboter meist eine knifflige Angelegenheit. Denn es besteht das Risiko, dass der Operateur bei dem Eingriff jene Nerven verletzt, die für die erektile Funktion unabdingbar sind. Ob und wie gut sich die Nerven während des Eingriffs schonen lassen, hängt auch von der Lage und Größe des bösartigen Tumors in der Prostata ab. 

Eine der häufigsten unerwünschten Wirkungen der radikalen Prostatektomie ist deshalb die Erektile Dysfunktion. Bekannt ist, dass Männer mit Prostatakrebs unter dieser Nebenwirkung besonders stark leiden und ihre Lebensqualität abnimmt. Allen voran gilt das für jüngere Männer, für die das Sexualleben oft noch eine höhere Priorität hat als bei betagteren Männern. Der Urologe Dr. Jost von Hardenberg fordert daher im Interview mit der Prostata Hilfe Deutschland:  "Wir müssen die Sexualfunktion stärker in den Fokus rücken."

 

Nach Prostatektomie: Medikamentöse Nervenreparatur

Forschende des Albert Einstein College of Medicine haben jetzt ein neues Medikament entwickelt und in einer Tierstudie getestet – mit Erfolg, wie sie in der April-Ausgabe des Fachmagazins Journal of Clinical Investigation Insight (JCI Insight) berichten.

Das Medikament kann womöglich die Nerven, die bei der radikalen Prostataektomie beschädigt wurden, regenerieren helfen und die erektile Funktion wiederherstellen. Würde dies funktionieren, wäre das ein echter Lichtblick für betroffene Männer. „Die Erektile Dysfunktion nach einer radikalen Prostatektomie hat einen erheblichen Einfluss auf das Leben vieler Männer sowie ihrer Partnerinnen und Partner“, sagt der David J. Sharp, der Co-Studienleiter vom Albert Einstein College of Medicine. 

Allerdings haben die Forscher die Arznei bisher nicht an Menschen, sondern nur im Tierversuch (an Ratten) ausprobiert. Die Anwendung bei Männern nach einer Prostatakrebs-Operation ist also noch ein weiter Weg. Allerdings gelten diese Nager als verlässliche Tiermodelle in der urologischen Forschung. „Daher bietet unser Medikament eine realistische Hoffnung auf eine normale Sexualfunktion für zehntausende von Männern, die sich jedes Jahr dieser Operation unterziehen.“

 

Erektile Dysfunktion - auch bei nervenschonenden Op-Techniken

Bei einer radikalen Prostatektomie entfernen Ärzte die gesamte Prostata samt bösartigem Tumor. Dieser chirurgische Eingriff ist bei einem örtlich begrenzten Prostatakrebs meist die Therapie der Wahl. „Auch wenn Chirurgen ‚nervenschonende‘ Techniken anwenden – die Operation kann jene kavernöse Nerven schädigen, die den Blutfluss in den Penis regulieren und so die erektile Funktion kontrollieren“, erklärt Kelvin P. Davies, Co-Leiter der Studie. 

Etwa 60 Prozent aller Männer litten noch 18 Monate nach der Operation unter einer Erektilen Dysfunktion. Und bei weniger als 30 Prozent sei die Erektionsfähigkeit fünf Jahre nach dem Eingriff ausgeprägt genug, um Geschlechtsverkehr zu haben. Medikamente wie der Wirkstoff Sildenafil und andere Behandlungen seien bei diesen Patienten oft nicht wirksam genug, so Davies. 

 

Neues Medikament, das sich gegen ein spezielles Enzym richtet

Die Idee der Forschenden, dass Medikament auf seine Wirksamkeit bei der Regeneration von Nerven zu testen, geht auf andere wissenschaftliche Untersuchungen zur Wundheilung von vor etwa zehn Jahren zurück. Damals hatte das Forscherteam um David Sharp entdeckt, dass ein Enzym namens Fidgetin-like 2 (FL2) die Wanderung von Hautzellen bremst. Diese bewegen sich normalerweise in Richtung einer Wunde, um sie zu heilen. Die Forscher entwickelten nun ein besonderes Medikament, um die Wundheilung zu beschleunigen. Dieses bremst die Aktivität von FL2– wirkt also wie eine Art „Anti-FL2-Arznei“. 

Dabei handelte es sich um kleine Ribonukleinsäure-Moleküle (engl. small interfering RNAs oder siRNAs), welche die Gene für die Codierung und Herstellung des Enzyms FL2 hemmen. Ganz allgemein regulieren solche siRNAs die Genaktivität und können bestimmte Gene vorübergehend ausschalten.

Dann verpackten sie ihr Medikament in winzige Nanopartikel und sprühten es auf die Haut von Mäusen. Durch die siRNAs heilten die Wunden nicht nur doppelt so schnell wie ohne Behandlung, sondern das geschädigte Gewebe regenerierte sich zusätzlich. Eine akutelle Studie aus dem Februar 2021 konnte zudem zeigen, dass die siRNAs auch die Heilung von Hornhautverletzungen aufgrund der Einwirkung von Chemikalien unterstützte.  Derzeit untersuchen die Wissenschaftler die Wirkung der siRNAs bei Rückenmarksverletzungen. 

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Medikament verbessert die erektile Funktion

Das Forscherteam zog aus seinen Erkenntnissen den Rückschluss, dass die geschädigten kavernösen Nerven ebenfalls empfänglich und zugänglich für die Wirkung der FL2 siRNAs sein könnten. Aus noch unbekannten Gründen wird nämlilch das FL2-Gen nach einer Schädigung von Nervenzellen übermäßig aktiv und die Zellen produzieren massenhaft FL2-Enzym. 

Die Einstein-Forscher überprüften die Wirkung ihres Medikaments im Tierversuch an Ratten, die Schäden an den peripheren Nerven hatten. Sie wurden entweder durchtrennt oder geschädigt, um so die Nervendefekte nachzuahmen, wie sie bei einer radikalen Prostatektomie entstehen können. Direkt nach der Schädigung der Nerven trugen sie die FL2 siRNAs als Gel auf die Nerven auf. Als Kontrolle dienten Tiere mit kaputten Nerven, die mit funktionslosen siRNAs behandelt wurden. 

Nervenzellen in der Petrischale: mit funktionslosen (links) und intakten FL2 siRNAs (rechts) behandelte Nervenzellen - © Lisa Baker, Ph.D./Courtesy Albert Einstein College of Medicine 

Die Behandlung mit den kleinen RNA-Molekülen verbesserte die Regeneration der Nerven und ließ sie erneut sprießen. Außerdem konnte das Medikament die Funktion der Nerven wiederherstellen, wie die sogenannte Kavernosometrie bewies. Mit diesem Test lassen sich die Druckverhältnisse und der Blutdruck im Penisschaft messen, nachdem die Nerven elektrisch stimuliert wurden. 

Drei bis vier Wochen nach der siRNA-Behandlung hatte sich die erektile Funktion der behandelten Nager im Vergleich zu den nicht therapierten Tieren deutlich verbessert. Die Arznei regte nach der Nervenschädigung die Regeneration der Nerven an und die erektile Funktion erholte sich teilweise wieder. Diese Nervenregeneration ließ sich in sieben von acht mit dem Anti-FL2-Medikament behandelten Tieren nachweisen. Dagegen erholten sich die Nerven bei keinem einzigen Tier, das sie mit den funktionslosen siRNAs behandelt hatten. 

Das FL2 siRNA-Medikament war sogar in der Lage, Lücken von einigen Millimetern zwischen den beschädigten Nervenenden zu heilen. Ein Ergebnis, das sich zuvor nur durch eine Transplantation von Nerven erzielen ließ, weiß David Sharp. „Funktionell waren die Ergebnisse der siRNA-Behandlung genauso gut oder sogar besser als bei einer Nerventransplantation“, so Sharp weiter. 

 

Weiterer Effekt: Mehr Stickstoffmonoxid, das für die Erektion wichtig ist

Bei ihren Versuchen stellten die Forschenden noch etwas anderes fest: Im Penisschaft der behandelten Tiere ließen sich höhere Mengen des Enzyms namens Stickstoffmonoxid-Synthase (NO-Synthase) nachweisen als bei den Kontrolltieren. 

Dieses Enzym produziert jenes Stickstoffmonoxid, welches die gesamte Kaskade von Prozessen anstößt, die schließlich zu einer Erektion führen. „Dies erscheint uns wichtig, weil Medikamente wie Sildenafil ohne das Vorhandensein von Stickstoffmonoxid, das diese Vorgänge ins Rollen bringt, nicht wirken“, betont Sharp. „Wenn wir sogar bestimmte Mengen an Stickstoffoxid in den Nerven wiederherstellen können, könnten Sildenafil und andere Medikamente gegen die Erektile Dysfunktion sogar noch mehr Schlagkraft entfalten.“

Quellen: