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Bestrahlung nach Prostata-Op: Höhere Strahlendosis ohne positiven Effekt

26. Juli 2021 | von Ingrid Müller

Nach einer Prostataentfernung kann der Tumor erneut aktiv werden – dann folgt meist eine Bestrahlung. Forschende aus der Schweiz fanden jetzt heraus, dass eine Strahlentherapie mit höherer Dosis nicht viel bringt – außer mehr Nebenwirkungen.

Die radikale Prostatektomie ist eine sehr wirksame Behandlungsstrategie bei Männern mit Prostatakrebs. Wenn Ärzte und Ärztinnen die Prostata samt bösartigem Tumor entfernen, sind die Heilungsaussichten in vielen Fällen gut. Grundsätzlich besteht jedoch die Gefahr, dass Chirurgen nicht sämtliche Krebszellen erwischen – dann können sie sich erneut vermehren und ausbreiten. 

Ärztinnen kontrollieren daher nach der Prostata-Op die Blutwerte in regelmäßigen Abständen auf bestimmte Biomarker, allen voran den PSA-Wert. Steigt er wieder an, deutet dies auf ein erneutes Tumorwachstum hin. Der nächste Behandlungsschritt ist meist eine Strahlentherapie jener Region, in der sich zuvor die Prostata zuvor befunden hat. »Salvage-Radiotherapie«, abgekürzt SRT, ist der Fachbegriff dafür (engl. salvage = Bergung, Rettung). Ziel der Bestrahlung ist es, den Prostatakrebs nochmals zu heilen und gleichzeitig die Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten. 

Strahlentherapie

Lesen Sie, wie die Bestrahlung von innen und von außen funktioniert. 

© okrasyuk/Adobe Stock

Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Inselspitals, Universitätsspitals Bern und der Universität Bern wollte jetzt in einer neuen Studie herausfinden, wie gut unterschiedlich hohe Strahlungsdosen den Prostatakrebs bremsen können. Das Fazit der Forschenden: Ein „Mehr“ an Strahlen kann das erneute Aufflammen des Prostatakrebses nicht besser verhindern. Vielmehr ist die erhöhte Strahlendosis für die Männer mit stärkeren Gesundheitsbelastungen verknüpft. 

 

Höhere Strahlendosis bringt keinen Vorteil

Teilnehmer der Studie namens SAKK 09/10 waren 350 Männer, die sich vorher wegen ihres Prostatakrebses einer radikalen Prostatektomie unterzogen hatten. Keiner der Männer erhielt zu Beginn der Studie eine Hormontherapie. Ihr PSA-Wert nach der Prostata-Op lag im Schnitt bei 0.3 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml). 

Nach dem Zufallsprinzip wurden sie in zwei Gruppen eingeteilt:

  • Die eine Hälfte der Probanden erhielt eine konventionelle Bestrahlung mit einer „normalen“ Strahlendosis von 64 Gray (Gray oder abgekürzt Gy ist die Maßeinheit für die Strahlung)
  • Die andere Hälfte eine erhöhte Strahlendosis von 70 Gray.

 

Einige frühere Studien hatten Hinweise darauf geliefert, dass die intensivere Bestrahlung auch besser hilft. Die Forschenden untersuchten, ob die gesteigerte Strahlendosis die erneute Tumoraktivität in den ersten fünf Jahren nach der Prostatektomie wirksamer verhindern kann. Die Wissenschaftler beobachteten die Männer insgesamt über sechs Jahre und länger.

Die Ergebnisse der Studie im Überlick:

  • Die höhere Strahlendosis brachte den Männern in den ersten fünf Jahren nach der Prostataentfernung keinen wesentlichen Vorteil, was die erneute Tumoraktivität betraf. Bei 62 Prozent der Männer mit der niedrigeren und 61 Prozent mit höherer Strahlendosis flammt der Prostatakrebs nicht nciht wieder auf – kein großer Unterschied also. Die durchschnittliche Zeit ohne erneuten Ausbruch des Prostatakrebses betrug 8,2 Jahre für Männer mit der niedrigeren Strahlendosis und 7,6 Jahre für Männer, die eine höhere Bestrahlungsdosis erhalten hatten.
  • Keinen Unterschied zwischen beiden Bestrahlungsgruppen konnten die Forscher bei der progressionsfreien Überlebensrate sowie dem Gesamtüberleben ausmachen.
  • Ebenfalls keine deutlichen Unterschiede ließen sich bezüglich der Zeitspanne finden, ab der eine Hormontherapie notwendig wurde. Auch bei der Lebensqualität schnitten beide Gruppen etwa gleich gut ab.
  • Allerdings bedeutete die intensivere Bestrahlung für die Männer mehr Nebenwirkungen im Urogenitaltrakt (53 Männer mit hoher Strahlendosis versus 48 Männer bei niedriger Strahlendosis). Auch der Magen-Darm-Trakt litt stärker unter der höheren Strahlendosis, besonders der Darm (39 versus 19 Männer). Sie erlebten zum Beispiel verstärkt Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Entzündungen der Magen- und Darmschleimhaut.

 

Strahlentherapie nach Op

Nach einer Prostata-Op kann die Bestrahlung bei vielen Männer erst einmal warten.

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Prof. Daniel Aebersold, einer der Studienautoren, erklärt: »Diese Annahme, dass eine höhere Strahlendosis von Vorteil ist, haben wir mit unserer Studie klar widerlegt.« Auch wenn die optimale Dosis der Bestrahlung bei erhöhten Tumormarkern noch unklar sei: »Die intensivere Bestrahlung erhöht lediglich das Ausmaß der Nebenwirkungen auf den Magen-Darm-Trakt – ohne für die Patienten irgendeinen Vorteil zu bringen« , schreiben die Autoren. Daher genüge die Salvage-Radiotherapie des Prostatabettes mit einer normalen Strahlendosierung bei Männern, deren Prostatakrebs nach einer radikalen Prostatektomie wieder aktiv werde, so das Fazit.

 

KI als Helfer: Ort der Tumoraktivität genauer aufspüren

Die Forscher und Forscherinnen sehen die Ergebnisse ihrer Studie als weiteren wichtigen Meilenstein für Männer mit Prostatakrebs. Die Erkenntnisse könnten jetzt direkt in die Behandlungskonzepte mit einfließen und den betroffenen Männern einen konkreten Nutzen bringen. Daniel Aebersold erklärt: »Dank der konventionellen Strahlendosis müssen die Patienten nur an 32 statt an 35 Tagen bestrahlt werden. Das sieht auf den ersten Blick nach wenig aus. Aber praktisch bedeutet es eine Reduktion von Darmbeschwerden um die Hälfte – nämlich 22 Prozent versus 11 Prozent.« 

Jetzt seien weitere Forschungen notwendig, um die Behandlung bei einer erneuten Tumoraktivität nach der Prostatektomie weiter zu verbessern. Eine Herausforderung ist es unter anderem, den Ort der Tumoraktivität genauer zu bestimmen. Dafür forschen die Wissenschaftler derzeit an neuen bildgebenden Verfahren, die sie mit der Unterstützung der künstlichen Intelligenz (KI oder AI) auswerten möchten. 

 

Salvage-Strahlentherapie - neue Empfehlungen in Deutschland

Die aktualisierten Leitlinien zu Prostatakrebs haben ihre Empfehlungen zur Salvage-Strahlentherapie jetzt neu angepasst. Demnach sollen Ärzte und Ärztinnen Männern die SRT (mindestens 66 Gray) als Behandlungsmöglichkeit nach einer radikalen Prostatektomie anbieten, wenn:

  • der PSA-Wert aus dem Nullbereich wieder ansteigt.
  • keine Lymphknotenmetastasen nachweisbar sind beziehungsweise sich die Lymphknoten nicht beurteilen lassen.

 

Daneben gibt es noch weitere neue Empfehlungen im Zusammenhang mit der Salvage-Radiotherapie:

  • Männer, deren Prostatakrebs ein hohes Risiko für das Fortschreiten birgt  - der PSA-Wert übersteigt vor der Bestrahlung 0,7 ng/ml - sollen zusätzlich zur Salvage-Strahlentherapie das Angebot eine Hormontherapie bekommen.
  • Ärztinnen und Ärzte sollen die SRT in Kombination mit einer Hormontherapie nach einer radikalen Prostatektomie anbieten, wenn der PSA-Wert aus dem Nullbereich ansteigt und gleichzeitig ungünstige prognostische Kriterien vorliegen. Beispiele: Die PSA Verdopplungszeit beträgt weniger als zwölf Monate, der Gleason-Score liegt zwischen 8 und 10.
  • Erhält ein Mann zusätzlich zur SRT eine Hormontherapie, kann sich die Dauer der Hormonbehandlung am individuellen Risiko orientieren, dass der Prostatakrebs voranschreitet. Ein erhöhtes Progressionsrisiko bedeutet eine Hormontherapie über sechs Monate, ein hohes Progressionsrisiko über 24 Monate.

 

Quellen: