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Prostatakrebs – Forschung im Weltall
07. März 2022 | von Ingrid MüllerForscherteams schicken Krebszellen in die Schwerelosigkeit des Weltalls. Sie erhoffen sich neue Erkenntnisse über die Krebsentstehung und Wirksamkeit von Krebsmedikamenten. Die Internationale Raumstation ISS dient dabei als Forschungslabor.
Wie entstehen Prostatakrebs und andere Krebsarten? Welche Mechanismen sind am Werk, wenn sich eine gesunde Zelle in einer Krebszelle verwandelt? Und wie breiten sich Krebszellen dann im Organismus weiter aus und bilden Metastasen? Antworten auf diese bisher ungelösten Fragen soll der Weltraum mit seiner Schwerelosigkeit liefern. In einem neuen Projekt nehmen Forschende jetzt Prostatakrebszellen mit auf die Reise ins Weltall zur Internationalen Raumstation ISS. Initiator dieses Experiments im Weltraumlabor ist ein Biotechnologie Startup.
In der Schwerelosigkeit will das Forscherteam Zellkulturen von Prostatakrebs, Brustkrebs und gesunden Zellen wachsen lassen. Ziel ist es, die Zellstrukturen, die Arbeit und Funktion der Gene sowie wichtige Signalwege in gesunden und bösartigen Zellen genauer zu beleuchten. Schon länger ist die Krebsforschung ein wichtiger Teil von Experimenten auf der ISS. Wissenschaftler hatten dort bereits verschiedene Versuche mit Krebszellen durchgeführt und untersucht, ob und wie sich die fehlende Erdanziehungskraft auf sie auswirkt.
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Schwerlosigkeit: Zellen formen 3-D-Gebilde
In der Schwerelosigkeit verhalten sich Zellen nämlich völlig anders als auf der Erde. Züchtet man Zellen im Labor unter der Einwirkung der Schwerkraft, entstehen flache, zweidimensionale Zellschichten. Im Weltraum aber formen die Zellen dreidimensionale Strukturen, die dem Wachstum und Verhalten von Zellen im menschlichen Körper sehr viel näher kommen. Der Mensch ist ja auch kein „flaches“ Gebilde. „Sphäroide“ heißen diese dreidimensionalen, tumorähnlichen Strukturen. Man kann sie sich vorstellen als kugelförmige Klumpen, die aus unzähligen Zellen bestehen. Warum sich in der Schwerelosigkeit solche Sphäroide bilden, ist noch unbekannt.
Diese Art des Zellwachstums sei auf der Erde sehr viel schwerer nachzuahmen, erklärt Scott Robinson, Präsident und Chef-Wissenschaftler des Biotech-Unternehmens. Oft nutzen Forscher in ihren Labors spezielle Gerüste, um räumliche Zellstrukturen zu züchten. Aber selbst mit diesen gelinge es oft nicht, solche 3-D-Gebilde aus Zellen herzustellen. Anhand der Sphäroide lässt es sich aber besser untersuchen und nachverfolgen, wie ein Tumor genau entsteht.
Weltall verändert die Kommunikation der Zellen
Die Schwerelosigkeit beeinflusst jedoch nicht nur die Art, wie Zellen wachsen, sondern hat noch andere Auswirkungen aus sie. Die fehlende Erdanziehung bedeutet Stress für die Zellen, und dieser verändert wiederum die Signalwege in den Zellen. „Wenn man Zellen ins Weltall schickt – vor allem Krebszellen – verändert sich die Kommunikation innerhalb der Zellen entscheidend“, erklärt Robinson. „Diese Umbrüche treten ziemlich schnell in Erscheinung. Allerdings verstehen wir noch nicht genau, welche Signalwege sich verändern sind und was die Auslöser dafür sind“, erklärt der Wissenschaftler weiter. Ohne die Schwerkraft lässt sich der Informationsaustausch zwischen den Zellen vielleicht auf eine ganz neue Art und Weise studieren.
Die Forscher wollen jetzt vergleichen, wie gesunde und bösartige Zellen miteinander kommunizieren, welche Unterschiede es gibt und wie diese zur Krebsentstehung beitragen. „Die Studie könnte uns helfen, diese Prozesse ein bisschen besser zu verstehen. Auch wie sich das Umfeld der Krebszellen verändert, wissen wir hoffentlich anschließend genauer“, so Robinson.
Bekannt ist, dass die Krebsentstehung mit einer genetischen Veränderung (Mutation) einer gesunden Zelle beginnt – sie verändert ihr Erbgut und wird zur Krebszelle. Warum sie das tut und welche Vorgänge dabei eine Rolle spielen, ist noch weitgehend unklar. Krebszellen haben im Gegensatz zu gesunden Zellen die Fähigkeit, sich unkontrolliert zu teilen und zu vermehren. Außerdem können sie in umliegendes Gewebe, Blutgefäße und Lymphwege eindringen und sich so im gesamten Körper ausbreiten. Das macht sie auch so gefährlich.
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Neue Krebsmedikamente im Weltall testen
Das Weltall mit seiner Schwerelosigkeit könnte auch für die Forschung an neuen Krebsmedikamenten nützlich sein. Mit Hilfe der Sphäroide lassen sich womöglich Biomoleküle leichter identifizieren, an die sich ein Anti-Krebs-Wirkstoff bindet – und damit seine Wirkung entfaltet. So können Forschende besser studieren, wie wirksam ein neu entwickeltes Krebsmedikament tatsächlich ist.
„Sphäroide sind für pharmazeutische Tests sehr viel besser geeignet als die flachen Zellschichten, die sich unter der normalen Schwerkraft ausbilden“, schreibt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Anhand solcher Modellsysteme könne man die Wirksamkeit neuer Anti-Tumor-Medikamente leichter überprüfen.
Mit den Prostatakrebszellen auf der ISS hat das Biotech-Unternehmen genau dies vor – nämlich zu testen, wie sie auf ein neu entwickeltes Medikament reagieren. Es richtet sich gegen ein spezielles Eiweiß in der Zelle – es hat das Kürzel TMBIM6. Dieses Protein hilft dabei mit, den Stress in den Zellen zu regulieren. Studien deuten darauf hin, dass es auch ein wichtiger Mitspieler bei der Krebsentstehung ist. „Es gibt eigentlich keine Krebsart, an der dieses Eiweiß nicht in irgendeiner Weise beteiligt ist“, weiß Robinson.
In der für die Zellen stressigen Schwerelosigkeit hofft das Forscherteam, mehr Licht in die Rolle des TMBIM6 zu bringen und zu sehen, ob sein Medikament die erhoffte Wirkung zeigt. Auf Basis dieser Erkenntnisse ließen sich dann weitere Krebstherapien entwickeln, etwa für Prostatakrebs, Brustkrebs und viele andere Krebsarten.
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Krebszellen sterben in der Schwerelosigkeit
Die Frage, wie sich die Schwerelosigkeit auf Krebszellen auswirkt, trieb auch den australischen Forscher Joshua Chou um. Warum? Weil viele seiner Freunde und Bekannte an Krebs erkrankt sind. Und weil ihm einst, so erzählt er, der Astrophysiker Stephen Hawking in Harvard gesagt habe: „Bedenken Sie, dass nichts der Erdanziehungskraft trotzt.“
Das war der Startpunkt für seinen ungewöhnlichen Versuch im Labor. In einem Mikrogravitationsgerät erzeugte er eine künstliche Schwerelosigkeit. Dann steckte er die Krebszellen hinein und beobachtete, wie sie sich verhielten. Die bösartigen Tumorzellen waren sehr verschiedenen Ursprungs. Sie stammten aus der Brust, den Eierstöcken, der Lunge und Nase.
Schon nach einem Tag in der Schwerelosigkeit starben in diesem Test 80 bis 90 Prozent der Krebszellen ab. Die Schwerelosigkeit war also aus Sicht der Krebszellen äußerst ungünstig. Interessant war, dass die Körperregion, aus der die Tumorzellen stammten, dabei keine Rolle spielte. Es scheint also, als hätten diese Krebsarten eine Gemeinsamkeit – nämlich die Reaktion auf die Schwerelosigkeit.
Joshua Wong schreibt: „Was unsere Forschung so bedeutsam macht, ist die Tatsache, dass wir keinerlei Medikamente eingesetzt haben. Allein durch die Veränderung der Schwerkraftverhältnisse haben wir einen deutlichen Effekt auf diese Krebszellen erzielt – und auf ihre Fähigkeit, miteinander in Verbindung zu treten.“
Andere Forschende hatte zuvor ebenfalls Anhaltspunkte dafür gefunden, dass sich Krebszellen in der Schwerlosigkeit nicht besonders wohl fühlen. Unklar ist allerdings, ob nicht auch andere Faktoren am Absterben der Tumorzellen beteiligt sind. Auch hier sollen geplante Experimente auf der ISS weitere Erkenntnisse liefern.
Schilddrüsenkrebszellen auf der ISS
Forschende der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg hatten vor einigen Jahren bösartige Tumorzellen – genauer gesagt Schilddrüsenkrebszellen – ins All geschickt, um nach neuen Behandlungsmöglichkeiten gegen Krebs zu suchen. An der ISS kamen Experimentkammern von der Größe eines Smartphones an, die Schilddrüsenkrebszellen enthielten. Zehn Tage dauerte das CellBox-Experiment ‚Thyroid Cancer’, von dem sich die Forscher neue Erkenntnisse in der Krebsforschung erhoffen. Die Auswertung ist noch nicht abgeschlossen.
Auf der ISS werden aber nicht nur Experimente zur Krebsforschung durchgeführt, sondern auch andere medizinische Versuche. Ungefähr 3.000 waren es bisher. Forschende wollen zum Beispiel wissen, wie sich die Schwerelosigkeit auf den Gleichgewichtssinn auswirkt, welchen Einfluss sie auf den Alterungsprozess hat, wie sich die Knochen- und Muskelmasse verändern oder wie neue Oberflächen die Verbreitung von Bakterien eindämmen können. Für die Menschen und ihre Krankheiten könnten die ISS und der Weltraum daher eines Tages eine ganz neue Bedeutung bekommen.
Quellen:
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