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Biotin kann PSA-Test verfälschen

14. Oktober 2025 | von Ingrid Müller

Verschiedene Faktoren können die Ergebnisse eines PSA-Tests verfälschen. Dazu gehört auch Biotin - ein Vitamin, welches das Haar- und Nagelwachstum fördern soll. Viele nehmen es als Nahrungsergänzungsmittel ein.

Der PSA-Wert spielt bei der Früherkennung von Prostatakrebs eine zentrale Rolle, aber auch nach einer Prostatakrebserkrankung. Der Verlauf des Prostatakarzinoms lässt sich überwachen und ein Rückfall (Rezidiv) erkennen. Der PSA-Wert gilt als einer der empfindlichsten Paramater - auch wenn er für sich alleine genommen nicht aussagekräftig genug ist. Bekannt sind einige Faktoren, die den PSA-Wert beeinflussen können, zum Beispiel Druck auf die Prostata durch Radfahren oder Sex. 

Eine US-Analyse untersuchte jetzt einen weiteren Einflussfaktor, der das PSA-Testergebnis verfälschen könnte: Biotin - ein Vitamin, welches das Wachstum von Haaren und Nägeln fördern soll. Viele Menschen nehmen es als freiverkäufliches Nahrungsergänzungsmittel ein, auch Männer, die vielleicht etwas gegen ihr lichtes oder ausgefallenes Haar tun möchten. Biotin könnte aber nicht nur PSA-Testergebnisse verfälschen, sondern auch die Resultate vieler weiterer Labortests, die in der Krankheits- und Krebsdiagnostik Routine sind, schreibt die Forschungsgruppe. Die Untersuchungsergebnisse wurden im Fachblatt JCO Oncology Practice veröffentlicht. 

Was ist Biotin?

  • Biotin ist ein wasserlösliches Vitamin – andere Namen sind Vitamin B7 und Vitamin H.
  • Biotin kommt in zahlreichen Nahrungsmitteln vor, beispielsweise in Leber, Eigelb oder Milchprodukten.
  • Das Vitamin ist am Eiweiß-, Fett- und Kohlenhydratstoffwechsel beteiligt. 
  • Es ist in Arzneimitteln zur Vorbeugung und/oder Behandlung eines Biotinmangels, aber auch in vielen Nahrungsergänzungsmitteln zu finden. 
  • Biotin soll den Erhalt von Haut, Haaren und Nägeln fördern.

Biotin: PSA kann falsch zu hoch oder niedrig sein

Das  Risiko für verfälschte Ergebnisse besteht vor allem bei Tests (Immunoassays), die auf dem sogenannten Biotin-Streptavidin-System basieren. Diese Tests nutzen die Wechselwirkung von Biotin mit dem Protein Streptavidin und sind ein Standard in der Labordiagnostik. „Biotin hat das Potenzial, diese Labortests zu beeinflussen“, schreibt die Forschungsgruppe.

Immunoassays basieren auf der spezifischen Bindung zwischen einem Antigen und Antikörper, um ein bestimmtes Molekül - den Analyten -  nachzuweisen und seine Menge zu bestimmen. Sie kommen beim PSA-Test im Zusammenhang mit Prostatakrebs zum Einsatz, spielen aber auch bei Schilddrüsen-, Brust-, Gebärmutter- und Eierstockkrebs sowie bei Keimzelltumoren eine Rolle. 

Wenn ein Mensch Biotin als Nahrungsergänzungsmittel zu sich nimmt, ist das Vitamin in größeren Mengen im Körper vorhanden. Dieses freie Biotin konkurriert dann mit Antikörpern oder Antigenen, an die das Biotin schon angeheftet ist, und die eigentlich an das Streptavidin binden sollen – das Biotin verdrängt die Testreagenzien also von den Bindungsstellen. „Biotin geht nachweislich Interaktionen mit zahlreichen Labortests ein, auch mit jenen, die den Verlauf einer Krebserkrankung und den Erfolg von Behandlungen überwachen sollen“, erklären die Forschenden. 

In der Folge erhalten Ärztinnen und Ärzte verfälschte Testwerte. So können zum Beispiel Werte wie der PSA-Wert sowohl falsch zu hoch als auch falsch zu niedrig ausfallen. Im ersten Fall kann zum Beispiel der Verdacht auf Prostatakrebs oder einen Rückfall (Rezidiv) bestehen, der sich anschließend nicht bestätigt. Im zweiten Fall wird womöglich ein bestehender Prostatakrebs oder ein Rezidiv übersehen. „Die verfälschten Laborergebnisse könnten die Behandlungspläne bei einem Patienten verzögern oder verändern“, so die Autorinnen und Autoren. 

PSA-Werte richtig lesen

Erfahren Sie, was freies und gebundenes PSA, die PSA-Anstiegsgeschwindigkeit, PSA-Verdoppelungszeit und PSA-Dichte sind.

Prostata Hilfe Deutschland: Illustrationsbild Prostata
© Kateryna Kon/Adobe Stock

Biotin beeinflusst zahlreiche Labortests

Die Forschenden fanden heraus, dass bei gesunden Personen schon eine einzelne Dosis Biotin genügt, zum Beispiel 10 bis 300 Milligramm einmal pro Tag, um mit bestimmten Labortests Interaktionen einzugehen. Dazu zählen zum Beispiel Tests auf:

  • Prostata spezifisches Antigen (PSA) – ein Eiweiß, welche die Prostatazellen bilden. Falsch niedrige Werte könnten ein Rezidiv verschleiern.
  • Freies Thyroxin (T4) und freies Triiodthyronin (T3) – das sind Schilddrüsenhormone;
  • Thyreoidea-stimulierendes Hormon (TSH) - ein Hormon, das in der Hirnanhangsdrüse gebildet wird und die Schilddrüse zur Produktion der Hormone T3 und T4 anregt. Der TSH-Wert lässt Rückschlüsse auf die Schilddrüsenfunktion zu. So deuten hohe TSH-Werte auf eine Schilddrüsenunterfunktion und niedrige Werte auf eine Schilddrüsenüberfunktion hin. Falsch niedrige TSH-Werte könnten zum Beispiel zu fehlerhaften Interpretationen bei einer Immuntherapie führen. Die noch relative neue Immuntherapie wird bei mehreren Krebsarten eingesetzt, zum Beispiel bei schwarzem Hautkrebs, Nierenkrebs oder Lungenkrebs.
  • Thyreoglobulin – ein Eiweiß,  das die Schilddrüse produziert und als Speicher für Schilddrüsenhormone dient
  • Parathormon – ein Hormon der Nebenschilddrüsen, welches den Kalzium- und Phosphatspiegel im Blut reguliert.
  • Dehydroepiandrosteronsulfat (DHEAS) – das Hormon wird in der Nebennierenrinde gebildet und ist ein Vorläufer für männliche und weibliche Geschlechtshormone wie Testosteron und Östrogen 
  • Östradiol – falsch erhöhte Östrogen-Werte könnten sich zum Beispiel als mangelnde Wirksamkeit der Antihormontherapie bei Brustkrebs interpretieren lassen.
  • Progesteron – ein weibliches Geschlechtshormon
  • Testosteron – ein männliches Sexualhormon, das ein Ansatzpunkt für die Hormontherapie bei Prostatakrebs sein kann.
  • Luteinisierendes Hormon (LH) und Follikel Stimulierendes Hormon (FSH) – beide Hormone werden in der Hirnanhangsdrüse gebildet und spielen für die Fortpflanzung eine wichtige Rolle
  • Ferritin – ein Eisenspeicher, der Hinweise auf eine Blutarmut (Anämie) geben kann

 

Biotin-Einnahme? Dem Behandlungsteam Bescheid sagen!

Onkologinnen und Onkologen sollten darüber informiert sein, dass Biotin die Ergebnisse von Labortests beeinflussen könne, schreibt das Forschungsteam. Sie sollten außerdem in Erfahrung bringen, ob  Menschen mit einer Krebserkrankung Biotin für das Haarwachstum einnehmen und in welcher Dosierung. Viele Patientinnen und Patienten wenden Nahrungsergänzungsmittel wie Biotin auf eigene Faust an. Aber die wenigsten Menschen sagen es ihren Ärztinnen und Ärzten, weil sie es für ein harmloses Vitaminpräparat halten. 

Wer zum Beispiel einmal pro Tage eine hohe Dosierung mehr als 100 Milligramm Biotin täglich einnimmt, sollte mindestens zwei bis drei Tage vor dem Bluttest kein Biotin mehr anwenden, um das Risiko für falsche Testergebnisse zu vermindern.  Wichtig sei auch der ärztliche Hinweis an die Patientinnen und Patienten zum fehlenden wissenschaftlichen Beleg, dass Biotin tatsächlich das Haar- und Nagelwachstum fördern könne. Nahrungsergänzungsmittel mit Biotin versprechen oft, das Nachwachsen der Haare zu verbessern, gegen brüchige Nägel vorzugehen und Hautschäden zu lindern. Bekannt ist, dass Biotin für das Zellwachstum, die Zellerneuerung und den Zellstoffwechsel wichtig ist.

Bei einem nachgewiesenen Biotinmangel und dadurch verursachten krankhaften Haar- und Nagelproblemen können Medikamente mit Biotin sinnvoll sein. Für die Wirksamkeit von Biotin bei einem Haarverlust und Nagelveränderungen, die andere Ursachen haben, gibt es nur sehr wenige  Studiendaten zur Wirksamkeit. 

Die meisten Menschen mit Krebs, die sich einer Chemotherapie unterziehen, müssen mit Haarausfall und Nagelveränderungen rechnen. Auch die Hormontherapie bei Prostatakrebs oder die Antihormontherapie bei Brustkrebs kann zu Haarausfall führen. Viele empfinden den Haarverlust als gravierend und fühlen sich in Ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt. Daher greifen sie auch zu freiverkäuflichen Nahrungsergänzungsmitteln – ohne Wissen des Arztes oder der Ärztin. 

Hersteller von Biotinpräparaten müssen zu Labortests informieren

Die Hersteller von Arzneimitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln mit Biotin müssen in Absprache mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) über mögliche Interaktionen von Biotin mit klinischen Laboruntersuchungen informieren. Das gilt vor allem für die Bestimmung von Biomarkern wie Hormone, Herz-, Tumor- oder Infektionsmarker und über das damit verbundenen Risiko falscher Laborwerte. Die Information ist seit 2019 Pflicht und richtet sich vor allem an Ärztinnen, Ärzte, Apothekerinnen, Apotheker und Angestellte in Laboren.

Quellen:

  • Layna Mager et al. Biotin Supplements for Hair and Nail Regrowth: A Caution for Oncologists. JCO Oncol Pract 0, OP-25-00693, DOI:10.1200/OP-25-00693 (Abruf: 14.10.2025)
  • Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RHB/2019/rhb-biotin.html (Abruf: 14.10.2025)
  • Bundesinstitut für Risikobewertung, https://www.bfr.bund.de/cm/343/biotin-in-nahrungsergaenzungsmitteln-kann-labortestergebnisse-beeinflussen.pdf (Abruf: 14.10.2025)