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Strahlentherapie: Weniger Nebenwirkungen dank Achtsamkeitstraining

10. Mai 2024 | von Ingrid Müller

Ein Achtsamkeitstraining während einer Strahlentherapie könnte zukünftig Männern mit Prostatakrebs helfen. Die Nebenwirkungen wie Fatigue und Schlafprobleme nahmen ab, ergab eine kleine Studie. 

Männer mit Prostatakrebs, die eine Strahlentherapie erhalten, erleben während und nach dieser Krebsbehandlung oft Nebenwirkungen wie Fatigue, Schlafstörungen, Ängste und depressive Verstimmungen. Ein Forschungsteam der Northwestern University testete jetzt eine Strategie, die gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen soll: Während der Bestrahlung bekamen die Männer zugleich ein Achtsamkeitstraining per Audiodatei zugespielt. Dadurch besserten sich die Symptome der Männer und sie hatten weniger Nebenwirkungen. Dies ergab eine kleine Pilotstudie, deren  Ergebnisse im Fachblatt Global Advances in Integrative Medicine and Health veröffentlicht wurden.

Strahlentherapie

Lesen Sie, wie eine Strahlentherapie bei Prostatakrebs funktioniert und  welche Nebenwirkungen sie hervorrufen kann.

Prostata Hilfe Deutschland: Illustrationsbild - Computertomografie
© okrasyuk/Adobe Stock

Achtsamkeitstraining oder Entspannungsmusik

An der Untersuchung nahmen 27 Männer teil, die an Prostatakrebs erkrankt waren und sich einer täglichen Strahlentherapie für fünf bis 15 Minuten unterzogen. Sie wurden in zwei Gruppen eingeteilt:

  • Die einen bekamen während der Strahlentherapie ein drei- bis sechsminütiges Achtsamkeitstraining über eine Audiodatei zu hören (Interventionsgruppe). Sie sollten sich während der Bestrahlung auf ihre Atmung, Körperhaltung, auf die Geräusche und Umgebung fokussieren. 
  • Die anderen Männer hörten während der Radiotherapie lediglich Entspannungsmusik (Kontrollgruppe). 

Offenbar entfaltete das Achtsamkeitstraining Wirkung. Männer, die während der Strahlentherapie der Stimme eines Achtsamkeitstrainers lauschten, berichteten später von weniger Nebenwirkungen als die Kontrollgruppe, die allein mit Entspannungsmusik „berieselt“ wurde.  

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Bei Männern aus der „Achtsamkeitsgruppe“ nahmen die Fatigue und Schlafprobleme in dreimonatigen Nachbeobachtungszeitrum ab (um 2.5 bzw. 4.5 Punkte). Dies sei eine klinisch bedeutsame Verbesserung, so die Forschenden. 
  • In der Entspannungsgruppe“ verschlechterten sich dagegen die Fatigue um 7.46 Punkte und die Schlafstörungen nahmen um 6.15 Punkte zu. 

„Wir waren wirklich überrascht, dass die Männer so gebannte Zuhörer waren“, sagt David Victorson, Professor für Medizinische Sozialwissenschaft an der Northwestern University Feinberg School of Medicine und Hauptautor der Studie. „Wir versuchen, nicht nur die Prostatakrebstherapie zu verbessern, sondern auch einen Schritt weiter beim Management der körperlichen und emotionalen Nebenwirkungen zu kommen“, so Victorson weiter.

Was ist Achtsamkeitstraining?

  • Achtsamkeit (englisch „mindfulness“) ist ein Zustand von Geistesgegenwart, in dem ein Mensch in wachem Zustand die Gegenwart, seine direkte Umwelt, die Verfasstung seines Körpers und seines Gemüts wahrnimmt.
  • Er wird nicht von Gedankenströmen, Erinnerungen, Phantasien oder starken Emotionen abgelenkt.
  • Er denkt auch nicht über die Wahrnehmungen nach oder bewertet sie.

„Männer mit Krebs sind ein schwierige Gruppe“

Die Studienergebnisse könnten einen Einfluss darauf haben, wie man Männer mit Krebs, die bekanntermaßen oft nicht an unterstützenden Maßnahmen teilnehmen möchten, besser dazu motivieren könnte. „Männer mit Krebs – unabhängig von ihrem Alter – sind eine schwierige Gruppe, die sich kaum helfen lässt. Im Gegensatz zu Frauen verweigerten sich Männer oft unterstützenden oder supportiven Behandlungen, mit denen sich die Nebenwirkungen von Krebstherapien behandeln lassen. „Wir schaffen Angebote  – und die Männer kommen nicht“, weiß Victorson.

Die Tatsache, dass diese Art der Intervention passiv sei, könne ein Doppelangebot an die Männer sein. „Sie müssen keine Selbsthilfegruppe besuchen und können ihre Therapie absolvieren, während wir uns auf die Symptome konzentrieren“, so Victorson weiter. Auch wenn dies nur eine kleine Studie sei – wichtig sei die Erkenntnis, dass eine Intervention wie diese machbar und zukünftig auch umsetzbar sei. 

Aufmerksamkeit auf Atmung und Körper lenken

Ein Achtsamkeitstraining kann Menschen vermutlich auf zwei verschiedenen Wegen helfen. Erstens entfaltet es seine Wirkung über den sogenannten Parasympathikus. Dieser ist ein Teil des unwillkürlichen  (vegetativen) Nervensystems. Manchmal heißt er auch „Ruhenerv“. Ein wesentlicher Effekt ist, dass die Herz- und Atemfrequenz abnimmt. Dadurch sorgt der Parasympathikus für  Entspannung und Erholung.  Der Sprecher sagte zum Beispiel im eingesetzten Audioclip: „Lass uns beginnen, indem du einfach für wenige Momente daliegst und versuchst, dich zu beruhigen und zu erden. Lenk deine Aufmerksamkeit auf deine Haltung, dann auf deine Atmung und deinen Körper.“ 

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© anant762/Pixabay.com

Zweitens wirkt das Achtsamkeitstraining wahrscheinlich über die Regulation von Emotionen. Im Audioclip wurden Männer zum Beispiel aufgefordert, ihre Gedanken wie Wolken am Himmel vorbeiziehen zu lassen. Die Stimme wies den Zuhörer an, sich auf die Atmung zu fokussieren. „Sie bietet dir einen Platz, von dem aus Du Deine Gedanken und Gefühle kommen und gehen sehen kannst. Wenn Du lernst, deine Gedanken als mentale Ereignisse auftauchen und wieder verschwinden zu sehen, kannst du eine tiefe Stille und Frieden erreichen." Ziel sei es, die Gedanken nur zu beobachten, aber nicht auf sie zu reagieren. „So können wir unser Denken, das Nachsinnen, Grübeln und den Geist regulieren, so Victorson. „Es kann sehr hilfreich bei Ängsten, Schmerzen und Fatigue sein“. 

Weniger Hürden auch für Männer

Die meisten Achtsamkeitstraining werden von Angesicht zu Angesicht praktiziert, auch in Gruppen und über Online-Kurse. Sie dauern oft viele Stunden und werden über mehrere Wochen absolviert. Für Menschen mit einer Krebserkrankung kann dies logistische und finanzielle Hürden bedeuten. Und für Männer, die ohnehin deutlich seltener als Frauen supportive Therapien wahrnehmen, sind sie oft schwerer zugänglich.

Audiobasierte Achtsamkeitsübungen könnten eine gute Alternative sein, schreibt die Forschungsgruppe. Die sei die erste Studie, die ein Achtsamkeitstraining während einer Krebsbehandlung untersucht habe. Weil viele Männer bis zu zwölf Wochen lang täglich eine Radiotherapie durchführten, sei die eine gute Chance, ein Achtsamkeitstraining in diesem Zeitraum zu etablieren. 

Quelle: