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Aktive Überwachung: „Sicherheit für Männer oft entscheidend“

30. November 2022 | von Andrea Czygan

Die aktive Überwachung kann eine Möglichkeit für Männer mit Prostatakrebs sein. Der Urologe Dr. Frank Schiefelbein erklärt im Interview, warum die Entscheidung dafür oder dagegen nicht ganz einfach ist, welche Faktoren eine Rolle spielen und warum sich Männer dennoch sicher fühlen können.

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Herr Dr. Schiefelbein, bei der aktiven Überwachung sind sich Ärzte und Ärztinnen oft nicht einig, welche Männer davon profitieren – und schlagen zur Sicherheit gleich eine Therapie vor, die viele unangenehme Folgen nach sich ziehen kann. Warum ist diese Einschätzung so schwierig? 

Die Frage, welche Therapie zu welchem Mann bei Prostatakrebs passt, ist in der Tat komplex. Hier helfen uns aber die Leitlinien zum Prostatakarzinom weiter. Sie geben klare Empfehlungen, für welchen Mann die aktive Überwachung geeignet ist – und für welchen nicht.  

Uns unterstützt heute aber auch die Bildgebung. Wir nutzen den Ultraschall über den Enddarm in der Diagnostik, den transrektalen Ultraschall. Die neuen Geräte haben eine sehr gute Auflösung und können uns auf jeden Fall etwas über den Tumor sagen. Auch empfehlen die Leitlinien ein MRT, also eine Kernspintomografie. Oft führen wir sie sogar schon als Fusionsbiopsie vor der Stanzbiopsie der Prostata durch. Auch sie kann bei der Entscheidung mithelfen, ob die aktive Überwachung eine Möglichkeit für einen Mann ist.

Wie nähern Sie sich denn der Entscheidung für oder gegen eine aktive Überwachung an?

Zunächst einmal ist der PSA-Wert ist eine wichtige Voraussetzung für die aktive Überwachung -  er sollte unter 10 liegen. Auch die Gewebeprobe aus der Prostatabiopsie spielt eine Rolle. Der Gleason-Score sollte nicht höher als 6 liegen. Und nicht mehr als zwei Stanzen aus der Biopsie dürfen Krebszellen enthalten. Anhand dieser Faktoren können wir die Männer schon richtig zu einer Therapie beraten. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir es mit einem bösartigen Tumor zu tun haben. Bei einer aktiven Überwachung therapieren wir den Tumor ja nicht. Wir bestrahlen nicht, wir operieren nicht. Das ist auch für den Patienten keine einfache Situation.

Aktive Überwachung

Lesen Sie, was die aktive Überwachung ist und für welchen Mann mit Prostatakrebs sie in Frage kommt. Außerdem: Warum viele Männer sie abbrechen und wie Sport die Angst vertreibt.

Prostata Hilfe Deutschland: Illustrationsbild Aktive Überwachung bei Prostatakrebs - Arzt mit Röntgenbild
© ikostudio/Adobe Stock

Vor allem psychisch ist das bestimmt schwierig. Kommt den jeder Mann damit klar, dass man nicht sicher weiß, was passiert und erst einmal keine Therapie stattfindet?

Die Frage der Sicherheit ist nach meiner Erfahrung für die Männer oft entscheidend. Manche sagen von vornherein: ‚Ich möchte den Tumor entfernt haben‘ oder ‚Ich fühle mich sicherer, wenn wir den Tumor mit einer Bestrahlung behandeln‘. Wir müssen immer auf jeden Patienten einzeln eingehen und seine Wünsche berücksichtigen.

Wir wissen aber mittlerweile sehr viel mehr über Prostatakrebs und haben eine bessere Bildgebung. Außerdem können wir den Tumor anhand des Tumormarkers PSA so  überwachen, dass wir eine relativ hohe Sicherheit haben. Dadurch können wir Männer auch beruhigen.

Was bedeutet das Wörtchen „aktiv“ genau?

Aktive Überwachung heißt, dass beide Parteien aktiv sein müssen – der Arzt und der Patient. Er muss alle Kontrolltermine wahrnehmen, also die Messung des PSA-Wertes alle drei Monate, Ultraschall- und Tastuntersuchung. Nach einem Jahr machen wir eine erneutes MRT und eine weitere Biopsie. Wesentlich ist, dass ein Mann bereit ist, diesen Weg zu gehen. 

Und der Arzt muss erkennen, wenn sich einer dieser Parameter verändert, zum Beispiel der PSA-Wert steigt oder sich innerhalb kurzer Zeit verdoppelt. Dann müssen wir aus der aktiven Überwachung aussteigen und zu einer Therapie greifen, in der Regel zu einer Operation oder Bestrahlung.

Für welche Männer ist die aktive Überwachung nicht geeignet?

Zunächst einmal sind jene Männer mit Prostatakrebs ausgeschlossen, deren Tumor nicht den Kriterien entspricht, die ich gerade genannt habe. Beispiele: Ein zu hoher Gleason-Score oder ein ausgedehnter Tumor. Hier ist die Gefahr einfach zu groß, dass der Tumor aggressiv ist und später doch die Kapsel der Prostata durchbricht. Der Krebs kann in andere Organe eindringen oder sogar Metastasen bilden, was wir natürlich unbedingt verhindern wollen. 

Gibt es Methoden, etwa die Künstliche Intelligenz KI, mit denen man diese Männer zukünftig sichererer identifizieren kann? 

Aus meiner Sicht brauchen wir die Künstliche Intelligenz bei der aktiven Überwachung derzeit noch nicht. Ich glaube aber, dass wir in Zukunft noch weitere Parameter bekommen werden, die uns bei der Therapiefindung helfen können. Beispiele sind genetische Untersuchungen oder Blutwerte, die wiederum zu einer anderen Gewichtung der einzelnen Faktoren führen. Wenn wir eine Rechenstruktur haben, die solche Faktoren ermittelt, dann kann uns die Künstliche Intelligenz durchaus bei der Einschätzung helfen. 

Wir nutzen die KI ja jetzt schon bei der Bildgebung. Es gibt zum Beispiel Programme zur Auswertung von Röntgenbildern oder MRT-Aufnahmen. Auch bei der Beurteilung des Gleason-Scores kommt die KI bereits zum Einsatz, wenn das Gewebe in der Pathologie untersucht wird.

Aktive Überwachung - wer profitiert?

Eine schwedische Studie zeigt, welchen Männern die aktive Überwachung Vorteile bringt - und welchen nicht.

Mann mit Tablet, auf dem der Harntrakt und die Prostata gezeigt wird
(c) Africa Studio

Eine schwedische Studie zeigte, dass die aktive Überwachung auch jüngeren Männern nutzt, deren Tumor ein „sehr niedriges Risiko“ besitzt.  Was ist das genau und wie viele Männer haben solche Tumoren? 

Das ist nur eine kleine Gruppe, die einen Prostatakrebs mit sehr niedrigem Risiko hat. Und wenn wir von jüngeren Männern reden, müssen wir grundsätzlich vorsichtig sein. Denn Prostatakarzinome können bei ihnen durchaus aggressiv sein. Wir müssen auch jene Männer von der aktiven Überwachung ausschließen, die eine genetische Belastung mitbringen, also ein familiäres Risiko für Prostatakrebs haben. Das gilt für Männer, deren Großvater, Vater oder Brüder schon an Prostatakrebs erkrankt sind. 

Die aktive Überwachung ist natürlich für jüngere Männer insofern eine bevorzugte Option, weil hier keine Gefahr besteht, dass die Potenz leidet – im Gegensatz zur Operation oder Strahlentherapie. Für uns Ärzte bedeutet das:  alle Faktoren gemeinsam berücksichtigen, Vor- und Nachteile abwägen und jeden Mann individuell beraten. 

Das Interview führte Andrea Czygan von der Prostata Hilfe Deutschland.

Dieser Text ist eine redigierte Fassung des Video-Interviews.