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Früherkennung von Prostatakrebs – neue Strategien müssen her

09. Januar 2023 | von Ingrid Müller

Deutschland setzt hauptsächlich auf die ungenaue und unbeliebte Tastuntersuchung, um Prostatakrebs früh zu erkennen. Den PSA-Test zahlen Männer nach wie vor selbst. Schwedische Forscher entwickelten jetzt eine neue Strategie zur Diagnostik von Prostatakrebs. Auch hierzulande sehen medizinische Fachleute Handlungsbedarf in der Früherkennung – und zwar bei der Politik.

Für Prostatakrebs gilt wie für fast alle Krebsarten: Wenn Ärztinnen und Ärzte den bösartigen Tumor in der Prostata rechtzeitig entdecken, ist er in der Regel gut behandelbar und die Heilungschancen stehen gut. Die Kehrseite der Medaille: Sie finden sie bei der Früherkennung auch oft auch kleine Prostatatumoren, die in vielen Fällen harmlos sind und Männern zu Lebzeiten keine Probleme bereitet hätten. Diese Überdiagnosen sind wiederum mit Übertherapien verknüpft, die einige Nebenwirkungen mit sich bringen können. Am häufigsten haben Männer mit Inkontinenz und Erektiler Dysfunktion zu kämpfen. Beide Therapiefolgen kommen oft nach einer Operation (radikalen Prostatektomie) oder Strahlentherapie vor. Bekannt ist, dass diese Nebenwirkungen die Lebensqualität und Lebensfreude der Männer am meisten stören. 

Früherkennung von Prostatakrebs

Lesen Sie, welche Möglichkeiten es gibt und warum Männer dorthin gehen sollten!

Prostata Hilfe Deutschland: Illustrationsbild für Früherkennung und Vorsorge - Prostataabbildung auf Tablet
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Ein schwedisches Forscherteam von der Sahlgrenska Akademie der Universität Göteborg hat jetzt für dieses Problem womöglich eine Lösung gefunden. Dank einer neuen Strategie soll sich das Risiko für solche Überdiagnosen halbieren. Ärztinnen und Ärzte spüren weniger harmlose Tumoren auf, die nicht behandlungsbedürftig sind, und vermeiden dadurch Übertherapien. „Dies löst ein großes Problem und macht ein allgemeines Screening auf  Prostatakrebs tatsächlich machbar“, schreiben die Forschenden. Die Ergebnisse ihrer Studie veröffentlichten sie im renommierten Fachblatt New England Journal of Medicine (NEJM).

Prostatakrebsfrüherkennung – zwei Strategien im Test

Das Forscherteam lud 37.887 Männer zwischen 50 und 60 Jahren in Schweden zu einem PSA-Test ein. Dabei wird die Menge an prostataspezifischem Antigen (PSA) im Blut bestimmt. Der PSA-Wert ist ein wichtiger Marker, der Hinweise auf Prostatakrebs liefert, aber als alleiniger Wert nicht aussagekräftig genug ist. Ein erhöhter PSA-Wert muss nicht zwangsläufig Prostatakrebs bedeuten. Es können noch einige andere Ursachen dahinter stecken, wenn der PSA erhöht ist, zum Beispiel Sex oder Radfahren

Insgesamt nahmen 17.980 Männer (47 Prozent) die Einladung wahr und unterzogen sich einem PSA-Test. Männer mit einem erhöhten PSA-Wert von 3 Nanogramm/Milliliter (ng/ml) und mehr unterzogen sich einer Magnetresonanztomografie (MRT). Das bildgebende Verfahren funktioniert mit starken Magnetfeldern und nimmt den Körper „scheibchenweise“ auf. So erhalten Ärztinnen und Ärzte hochaufgelöste, dreidimensionale Schichtbilder der Prostata. Veränderungen des Gewebes und Tumore sind auf MRT-Aufnahmen meist gut erkennbar.

Magnetresonanztomografie (MRT)

Lesen Sie, was eine multiparametrische MRT (mpMRT) ist und was hinter der Fusionsbiopsie steckt.

Prostata Hilfe Deutschland: multiparametrische Magnetresonanztomografie
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Die Männer wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt: 

  • Gruppe 1 – die Referenzgruppe – umfasste ein Drittel (5.994) der Männer. Diese unterzogen sich einer systematischen Biopsie. Dabei entnehmen Ärztinnen und Ärzte ungezielt zwölf Gewebeproben aus verschiedenen Bereichen der Prostata. Diese Strategie ist heute weltweit Standard. Zeigte das MRT Auffälligkeiten, wurden drei bis vier weitere Gewebeproben nur aus den veränderten Bereichen entnommen. 
  • In der experimentellen Gruppe 2 befanden sich die verbleibenden 11.986 Männer. Hier wurden nur bei jenen Probanden Gewebeproben entnommen, bei denen die Forschenden Auffälligkeiten im MRT festgestellt hatten - und zwar gezielt nur vier Proben aus den veränderten Bereichen der Prostata.

 

Ziel war es, einen harmlosen von einem gefährlichen Prostatakrebs zu unterscheiden. Als klinisch nicht signifikant und ungefährlich stuften die Forschenden einen Prostatakrebs mit einem Gleason-Score 3+3 ein. Dagegen galt ein Gleason-Score von mindestens 3+4 als klinisch bedeutsam und behandlungsbedürftig.

Weniger harmlose Prostatakarzinome aufgespürt

Das Forscherteam fand heraus, dass das Risiko, einen „harmlosen“ Prostatakrebs zu finden, in der experimentellen Gruppe nur halb so hoch war. In dieser Gruppe erhielten 66 von 11.986 Männer (0,6 Prozent) die Diagnose eines ungefährlichen Prostatakrebses. In der Referenzgruppe waren es 72 von 5.994 Teilnehmern (1,2 Prozent).  „Die Diagnostik von ungefährlichen Prostatatumoren ist derzeit das größte Hindernis bei der Einführung eines allgemeinen Prostatakrebs-Screenings“, erklärt Jonas Hugosson, Professor für Urologie an der Universität Göteborg und Leiter der Studie. 

Gleichzeitig spürten die Forschenden in beiden Gruppen einen gefährlichen Prostatakrebs, der potenziell tödlich sein kann, mit ungefähr gleich hoher Sicherheit auf. In der experimentellen Gruppe gab es jedoch eine größere Wahrscheinlichkeit, dass ein Prostatakrebs mit mittlerem Risiko bei einer kleinen Anzahl von Männern leicht verzögert diagnostiziert wurde. Dennoch deuteten die Gesamtergebnisse darauf hin, dass ein Screening nach dieser neue Diagnosestrategie medizinisch gut begründbar sei, so das Forscherteam. 

Prostatabiopsie

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Prostatakrebs erkennen: "Nicht mehr ungezielt Gewebeproben sammeln"

Jonas Hugosson sagt: „Wir müssen davon wegkommen, ungezielt Gewebeproben zu sammeln, wie es heute immer noch Standard ist. Vielmehr sollten wir auf die MRT-Untersuchung vertrauen und die Diagnose-Strategie so verändern, dass wir nur noch Gewebeproben bei jenen Männern entnehmen, bei denen es Auffälligkeiten im MRT gab. Und wir sollten das Gewebe dann nur gezielt in den veränderten Bereichen entnehmen.“ Dieses Vorgehen vermindere die Anzahl an Männern deutlich, die sich einer Prostatabiopsie unterziehen müssten – eine nicht sonderlich angenehme Prozedur, die zudem mit dem Risiko für Infektionen verbunden sei, so Hugosson weiter. 

„Die Studienergebnisse könnten den Weg für die Einführung eines allgemeinen Prostatakrebs-Screenings ebnen“, hofft Hugosson. Allerdings seien auch andere Faktoren mit in Betracht zu ziehen, zum Beispiel die Kosten für die MRT und der Zugang der Männer zu diesem bildgebenden Verfahren. 

Prostatakrebsfrüherkennung in Europa verbessern

Mediziner und Medizinerinnen in Deutschland sehen bei der Früherkennung von Prostatakrebs schon seit einiger Zeit Handlungsbedarf. Derzeit können sich Männer ab dem 45. Lebensjahr einmal jährlich im Rahmen einer Tastuntersuchung auf Prostatakrebs untersuchen lassen. Diese Kosten für die digital-rektale Untersuchung übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen, nicht aber für den PSA-Test. Er ist nach wie vor keine Kassenleistung und Männer müssen ihn selbst bezahlen. Der Hintergrund: Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) kam in einer Analyse zu dem Schluss, dass der PSA-Test vielen Männern mehr schade als nutze. Nur wenige Männer profitierten vom PSA-Screening, so das Fazit des IQWIG.

Prostatakrebsfrüherkennung

Erfahren Sie, wie die digital-rektale Untersuchung abläuft, warum Scham am falschen Platz ist und wann der PSA-Wert auch ohne Prostatakrebs erhöht sein kann.

Gummihandschuhe in verschiedenen Farben
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Der Europäische Rat zur Krebsfrüherkennung sieht das wohl ein bisschen anders. Die Organisation hat jetzt eine neue Empfehlung zur Prostatakrebsfrüherkennung veröffentlicht. Demnach sollen die Mitgliedstaaten der EU eine größere Bandbreite an Screening-Verfahren sowie verschiedene Programmgestaltungen anbieten. Der Europäische Rat fordert weitere Pilotprojekte und Forschungsarbeiten, um die Durchführbarkeit und Wirksamkeit von PSA-Tests in Kombination mit einer ergänzenden Magnetresonanztomografie (MRT) als Folgeuntersuchung zu überprüfen. Der Vorstoß geht also in eine ähnliche Richtung wie die Studie der schwedischen Forschenden. 

Prostatakrebs erkennen – Tastuntersuchung alleine genügt nicht

Auch die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) unterstützt den europäischen Vorschlag. Sie macht sich seit Jahren dafür stark, das Thema „Prostatakrebsfrüherkennung“ auf nationaler Ebene voranzubringen.  Prof. Maurice Stephan Michel, DGU-Generalsekretär, sagt: „Wir fordern basierend auf neuesten evidenzbasierten Studiendaten bereits seit Längerem, endlich ein zeitgemäßes Verfahren auf den Weg zu bringen, welches nicht ausschließlich auf der Tastuntersuchung der Prostata beruht.“

Der PSA-Test, gekoppelt mit der multiparametrischen MRT als weiterführende Untersuchung, sei bei einem Verdacht auf Prostatakrebs ein äußerst vielversprechender Ansatz. Auf diese Weise ließen sich die oft kritisierten Übertherapien vermeiden, so Michel.

Bessere Früherkennung: Basis-PSA-Wert plus MRT 

Gute Argumente habe die sogenannte PROBASE-Studie geliefert. In dieser Untersuchung wurde bei mehr als 23.000 Männern im Alter von 45 Jahren ein Basis-PSA-Wert bestimmt. Dieser Wert gilt als Ausgangspunkt. Bei einem PSA-Wert über 3ng/ml, einer Abklärung mittels Biopsie und dem unterstützenden Einsatz der mpMRT wurden 48 Prostatakarzinome gefunden. Dies entspricht einer Entdeckungsrate von 0,2 Prozent. 

In der Kontrollgruppe bestimmten die Forschenden dagegen den PSA-Wert anfänglich nicht. Die Notwendigkeit für eine Prostatabiopsie basierte allein auf den Ergebnissen  der digital-rektalen Untersuchung, die bei 6.537 Männern vorgenommen wurde. War der Tastbefund auffällig, wurde die Biopsie durchgeführt. Bei zwei Männern wurde schließlich Prostatakrebs gefunden (0,03 Prozent).

„Der Unterschied in der Erkennungsrate mit und ohne Basis-PSA-Wert ist offensichtlich", erklärt Prof. Peter Albers,  Leiter der PROBASE-Studie. Die Erkenntnisse unterstützten die Forderung, in der Früherkennung des Prostatakarzinoms den PSA-Wert und als Folgeuntersuchung die mpMRT einzusetzen.

Experten-Interview

Warum der risikoadaptierte PSA-Test die Zukunft der Früherkennung ist, erklärt der Urologe Dr. Frank Schiefelbein im Interview.

PSA-Wert als Basis: weniger metastasierte Prostatakarzinome

Auch Studiendaten aus den USA sprechen dafür, den PSA-Wert in der Früherkennung von Prostatakrebs zu nutzen. Die Untersuchungen wurden an ehemaligen US-Soldaten durchgeführt. Wenn mehr dieser Männer PSA-basiert untersucht und behandelt wurden, war die Anzahl metastasierter Erkrankungen nach fünf Jahren deutlich geringer als bei Männern, die weniger oder gar keine PSA-basierten Untersuchungen erhalten hatten. „Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass die PSA-Untersuchung sinnvoll ist, denn sie reduziert die Anzahl metastasierter Erkrankungsstadien“, ergänzt DGU-Präsident Prof. Martin Kriegmair.

Daher appelliert die DGU an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, den Basis-PSA-Wert und bei entsprechender Befundkonstellation das mpMRT der Prostata als Früherkennungsleistung in Deutschland zu verankern. Andernfalls drohe Deutschland in diesem Punkt zum “Entwicklungsland in der EU” zu werden, erklärt Prof. Maurice Stephan Michel.

Quellen:

  • Hugosson J et al. Prostate Cancer Screening with PSA and MRI Followed by Targeted Biopsy Only, December 8, 2022, N Engl J Med 2022; 387:2126-2137, DOI: 10.1056/NEJMoa2209454
  • Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU), https://idw-online.de/de/news806646 (Abruf: 5.1.2022)